Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung berücksichtigt heute nicht mehr nur die Leistung der reinen Holzproduktion, sondern umfasst auch die Biodiversität, die Erholung im Wald und die Kohlen-stoffspeicherung. Im Alpenraum spielt zusätzlich die Schutzleistung des Waldes gegenüber gravitati-onsbedingten Naturgefahren eine zentrale Rolle. Das Hauptziel des forstlichen Managements und der Planung ist es, den Wald so zu bewirtschaften, dass er alle Ökosystemdienstleistungen (bzw. Eco-system Services) nachhaltig und möglichst gleichwertig erfüllen kann. Diese Situation stellt Forstbe-triebe daher heute vor eine grosse Herausforderung. Sie stehen insbesondere vor der Frage, mit wel-chen waldbaulichen Behandlungsstrategien sich die verschiedenen Ecosystem Services (ES) auf be-trieblicher Ebene bestmöglich umsetzen bzw. erreichen lassen. Je vielfältiger die nachgefragten Leis-tungen des Waldes dabei sind, umso komplizierter und herausfordernder wird die Planung und Entscheidungsfindung. Um dies zu bewältigen, bedarf es geeigneter Konzepte und Instrumente zur Ent-scheidungsunterstützung.
Es war das Ziel des vorliegenden Projekts, für die strategische Planung im Forstbetrieb ein multikrite-rielles Modell zur Entscheidungsunterstützung (Multi-Criteria Decision Analysis Modell, kurz: MCDA-Modell) für die Bewirtschaftung der ES im Schweizer Wald zu entwickeln. Mit dessen Hilfe können auf der Ebene des Forstbetriebes und seinen vorhandenen Informationen: a) Bewirtschaftungsziele definiert und die Zielerreichung quantitativ abgebildet sowie b) verschiedene Behandlungsstrategien bezüglich ihrer Nachhaltigkeit, d.h. unter ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten, be-wertet werden. Das Modell soll die anspruchsvolle langfristige Planung des komplexen Waldökosys-tems unterstützen.
In einem ersten Schritt wurde im Rahmen einer Literaturrecherche eine Auswahl von geeigneten Indikatoren getroffen, welche sich für die Definition von forstlichen Bewirtschaftungszielen und die Bewertung von waldbaulichen Behandlungsstrategien eignen. Insgesamt wurden 24 Indikatoren ausgewählt (Tabelle 13). Die Indikatoren wurden dazu verwendet, ein ganzheitliches indikatorbasiertes MCDA-Modell zu schaffen, das die wichtigsten ES der Schweiz berücksichtigt: Schutz vor gravitati-onsbedingten Naturgefahren, Holzproduktion, Erholung, Biodiversität und Kohlenstoffspeicherung. Die ausgewählten Indikatoren basieren auf vielfach angewandten und anerkannten Ansätzen und können auf der Grundlage von Betriebsinventurdaten und Ergebnissen eines einzelbaumbasierten Waldwachstums-Simulators quantifiziert werden. Die berücksichtigten Ebenen sind die des einzelnen Waldbestandes und die Ebene eines Betriebs, d.h. einer Waldfläche, die mehrere Bestände umfasst. Das MCDA-Modell wurde basierend auf der Methode der Multi-Attribute Value Theory (MAVT) ent-wickelt. Die Methode definiert für jeden Indikator eine Wertfunktion, welche die Indikatorwerte für jede waldbauliche Behandlungsstrategie in einen Wert zwischen null und eins transformiert, wobei eins den höchsten und null den niedrigsten Nutzen repräsentieren. Diese Standardisierung ermög-licht die Vergleichbarkeit der verschiedenen Indikatoren, da diese jeweils unterschiedliche Ausprägungen der realen Verhältnisse erfassen und in entsprechend unterschiedlichen Einheiten vorliegen. Mit der Methode MAVT lassen sich somit Synergien und Trade-offs zwischen den ES aufzeigen. Mit-tels der additiven Nutzenfunktion von MAVT, kann zusätzlich für jede Bewirtschaftungsalternative ein Gesamtnutzenwert ermittelt werden. Dabei lassen sich mittels Gewichtungen für die jeweiligen Indikatoren und ES unterschiedliche Präferenzen von Entscheidungsträgern und/oder Stakeholdern berücksichtigen.
In einem zweiten Schritt wurde das MCDA-Modell mit einem Waldwachstums-Simulator verknüpft, der es erlaubt, die zukünftige Waldentwicklung unter gegebenen waldbaulichen Behandlungsstrate-gien über 50 Jahre zu simulieren. Für die Simulation der Waldentwicklung wurde der Waldwachs-tums-Simulator WaldPlaner verwendet. Dieser basiert auf der Waldwachstumsbibliothek TreeGrOSS (Tree Growth Open Source Software) der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt NW-FVA. Mit dem Simulator können flexibel verschiedene Bewirtschaftungsstrategien definiert werden. Als Eingangsdaten für den WaldPlaner können unter anderem einzelne Baumdaten aus Stichproben ei-ner Betriebsinventur verwendet werden. Die Berechnung der Holzerntekosten für die ökonomische Bewertung erfolgte mit dem an den WSL entwickelten Holzernteproduktivitätsmodellen HeProMo. Das Modell quantifiziert die Produktivität für die jeweiligen Teilprozesse Fällen/Aufarbeiten und Transport. Basierend auf der Produktivität und den Kostenansätzen von Personal und Maschinen je Verfahren wurden die Erntekosten berechnet.
In einem dritten Schritt wurde das Gesamtsystem (MCDA-Modell, WaldPlaner, HeProMo) in einem Forstbetrieb im Schweizer Mitteland (Kanton Aargau) angewendet. Die Ausgangsdaten lieferte eine aktuelle Kontrollstichproben-Inventur. Im Rahmen der Fallstudie galt es, eine geeignete waldbauliche Behandlungsstrategie für die Waldbewirtschaftung zu ermitteln, welche die verschiedenen ES best-möglich erfüllt. Für die Simulation der zukünftigen Waldentwicklung wurden gemeinsam mit dem Betriebsleiter im Simulator fünf Strategien definiert: business as usual (BAU), integrated biodiversity conservation (BC-int), segregated biodiversity conservation (BC-seg), intensive management (INTENS) und no management (NO). Der Fokus lag dabei insbesondere auf den Strategien zur Förderung der Biodiversität (BC-int, BC-seg). Die extremen Strategien INTENS und NO dienten primär als Vergleichs-strategien für die Analyse. Die MAVT-Analyse ergab als beste Alternativen die Strategien INTENS, BAU und BC-seg (Abbildung 14). Die Strategien INTENS und BAU führten jedoch zu Wäldern, in denen es an typischen strukturellen Merkmalen von alten Waldbeständen (wie Habitatbäume und Totholz grosser Dimensionen, Abbildung 12) sowie an unbewirtschafteten Waldreservaten mangelt, die als besonders wichtig für den Erhalt der Biodiversität angesehen werden. Strategie NO erhielt den nied-rigsten Gesamtnutzenwert, hauptsächlich aufgrund der schlechten Resultate für die ES Holzprodukti-on und Kohlenstoffspeicherung (keine Speicherung von Kohlenstoff in Holzprodukten und keine Sub-stitutionseffekte). Von den beiden Biodiversitätsstrategien BC-int und BC-seg erhielt letztere am En-de des Simulationszeitraums den höheren Gesamtnutzen. BC-seg bietet einen Kompromiss, der die positiven Aspekte von Naturschutzstrategien (BC-int und NO) sowie der Strategien für die Holzpro-duktion und Kohlenstoffspeicherung (INTENS) verbindet. Daraus schliessen wir, dass für den unter-suchten Betrieb eine kleinräumige Segregation des Waldgebietes in Zonen mit unterschiedlichen prioritären Managementzielen eine geeignete Strategie für die Waldbewirtschaftung ist, welche die Zielsetzungen nach den Berechnungen am besten erfüllt. Aus den Resultaten des Fallbeispiels wird aber auch deutlich, dass eine moderate Waldbewirtschaftung ohne Kahlschlag und mit naturnahem Waldbau, wie sie in der Schweiz vielfach gängige Praxis ist, einen Erhalt der Biodiversität nicht aus-schliesst. In unserer Studie führte die Bewirtschaftung zu einer höheren Gamma-Diversität und Tot-holzmengen, die denen der Strategie NO sehr nahekommen, wenn Ernterückstände dem Totholzpool angerechnet werden (Abbildung 12).
Die Ermittlung einer geeigneten waldbaulichen Behandlungsstrategie mit einem indikatorbasierten Bewertungsrahmen überzeugt aus unserer Sicht als geeignetes Instrument zur Entscheidungsunter-stützung. Darüber hinaus bietet die Methode MAVT eine hohe Flexibilität, indem sich die Präferen-zen der Stakeholder durch Wertfunktionen und einer Gewichtung der verschiedenen Indikatoren und ES berücksichtigen lassen.
Siehe Institutional Repository DORA