Alpen im Klimawandel: Viele Arten passen sich zu langsam an

In den Alpen wird es immer wärmer und der Frühling beginnt immer früher. Viele dort lebende Arten können ihr Verhalten sowie die Wahl ihres Lebensraums entsprechend anpassen. Doch wie eine von der Eidg. Forschungsanstalt WSL und dem CNRS in Frankreich geleitete Übersichtsstudie zeigt, in die auch zahlreiche Resultate aus der Laienforschung eingeflossen sind, erfolgen diese Anpassungen meist nicht schnell genug.

In den Schweizer Alpen hat sich das Klima seit 1970 um etwa 1,8 °C erwärmt. Viele dort lebende Arten reagieren darauf, indem sie in kühlere, höher gelegene Regionen aufsteigen. Die bisher beobachteten Verschiebungen der Lebensräume genügen den meisten Arten jedoch nicht, um mit den klimatischen Veränderungen mithalten zu können. Dies ist eines der Ergebnisse einer Übersichtsstudie unter Leitung der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, die vor kurzem im Fachjournal Biological Reviews erschienen ist.

Die Studie untersuchte zudem, wie sich das saisonale Verhalten vieler Arten verändert, weil der Frühling in den Alpen immer früher beginnt. Sie fasst erstmals all diese Verhaltensänderungen und die Verschiebungen der Lebensräume umfassend zusammen. Yann Vitasse, Spezialist für Waldökologie an der WSL, hat dafür als Teil eines internationalen Teams von Biologen die Daten von mehr als 2'000 Arten (Tiere, Pflanzen und Pilze) mit ausgewertet, die in den Alpen und den angrenzenden Regionen leben.

Abwanderung geschieht oft nicht schnell genug

Fast alle untersuchten Arten wandern in immer höhere Gebiete ab, insbesondere die Schmetterlinge, denen ihre Flugfähigkeit zu Gute kommt. Jene sind allerdings eine Ausnahme, weil sie wahrscheinlich – im Unterschied zu Wasserinsekten und vielen anderen Gruppen von Lebewesen – schnell genug abwandern können, um mit der zunehmenden Erwärmung des Klimas zurechtzukommen. Dasselbe gilt wohl nur für die Gruppe der Reptilien. «Dass viele Arten in höhere Lagen aufsteigen, ist zwar grundsätzlich eine gute Nachricht, denn sie versuchen immerhin, sich anzupassen», meint Yann Vitasse. «Aber den meisten Arten gelingt es nicht, die erforderlichen 60 bis 70 Höhenmeter pro Jahrzehnt zurückzulegen, die sie überwinden müssten, um unter den ihnen angestammten klimatischen Bedingungen weiterleben zu können».

Bäume und Sträucher können zwar ebenfalls innert relativ kurzer Zeit in höhere Lagen ausweichen, mit bis zu etwa 33 Höhenmetern pro Jahrzehnt. Dies reicht aber nicht aus, um mit der derzeitigen Klimaveränderung Schritt zu halten. Bei anderen Gruppen wie Vögeln, Farnen oder holzzersetzenden Pilzen wurde ein viel langsamerer Aufwärtstrend festgestellt – weniger als 15 Höhenmeter pro Jahrzehnt. Amphibien und Libellen haben ihren Lebensraum sogar überhaupt nicht in grössere Höhen verlegt. Diese Tiere sind als Larven auf Gewässer als Lebensraum angewiesen und daher an wasserreiche Standorte gebunden.

Grosse Unterschiede bei Aktivitäten im Frühjahr

Die klimatischen Veränderungen führen in den Alpen auch zu früherer Schneeschmelze und immer wärmeren Frühlingstagen. Pflanzen, Reptilien, Zugvögel und an Land lebende Insekten wie Schmetterlinge oder Heuschrecken haben darauf reagiert, indem sie ihre Aktivitäten im Frühjahr – wie beispielsweise das Blühen der Pflanzen – um durchschnittlich 2 bis 8 Tage pro Jahrzehnt vorverlegten. Bei anderen Lebewesen wie Vögeln, Amphibien und Wasserinsekten (insbesondere Libellen) gab es keine oder nur geringe zeitliche Verschiebungen bei ihren Frühjahrsaktivitäten.

Für Yann Vitasse sind die teilweise starken Unterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen problematisch: «Diese Entwicklung könnte dazu führen, dass sich die verschiedenen Arten in ihren Aktivitäten zeitlich nicht mehr auf einander abstimmen können, was für den langfristigen Fortbestand der Arten als Teil eines Ökosystems bedrohlich ist».

Laien leisten einen wichtigen Beitrag

Die verwendeten Daten über die verschiedensten Lebewesen stammen jedoch nicht nur aus der bereits veröffentlichten Fachliteratur, sondern zu einem grossen Teil auch aus Bürgerwissenschafts-Projekten (Citizen Science). Zwei von ihnen lieferten Daten, die zuvor noch nie publiziert worden waren: Die Datenbank PhenoForest enthält Daten zum Laubabfall von Bäumen ab dem Jahr 1998; die Daten von info fauna ermöglichen wichtige Einblicke in die Wanderbewegungen und das veränderte Verhalten von Insekten, Reptilien und Amphibien. Bei beiden Projekten lieferten wissenschaftliche Laien die Daten durch freiwillige Mitarbeit. Dies gilt teilweise auch für die Daten von MeteoSwiss zum Klima und jene von der Vogelwarte Sempach über Vögel, welche ebenfalls in dieser Studie Verwendung fanden.

Für Yann Vitasse ist der Beitrag der Laien von grosser Bedeutung für die Forschung: «In Citizen-Science-Projekten können Bürger vereint eine weitaus grössere Menge an Beobachtungen und Daten in einem viel weiträumigeren Gebiet zusammentragen, als es in gewöhnlichen Forschungsprojekten jemals möglich wäre.» Er ist überzeugt davon, dass Laien auch in Zukunft im Rahmen der partizipativen Forschung einen wichtigen Betrag leisten werden.

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