Die Orkangeschwister Vivian (1990) und Lothar (1999) zwangen in der Schweiz Millionen Bäume zu Boden. Heute wächst auf allen Sturmflächen wieder junger Wald. In höheren Lagen ist dieser aber oft noch zu lückig, um ausreichend vor Naturgefahren zu schützen. Dies zeigen Untersuchungen der Eidg. Forschungsanstalt WSL, die soeben in der Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen veröffentlicht wurden.
In den letzten 150 Jahren verwüsteten immer wieder schwere Winterstürme Wälder in der Schweiz. 26 von ihnen hinterliessen mindestens 70‘000 Kubikmeter Holz von gebrochenen oder umgeworfenen Baumstämmen. Drei sogar mehr als zwei Millionen Kubikmeter Holz, der Wintersturm von 1967, Vivian/Wiebke (1990) und Lothar (1999). "Einen zunehmenden Trend starker Stürme haben die Meteorologen für die Schweiz aber bisher nicht festgestellt", sagt der Forstwissenschaftler Tilo Usbeck. Doch "intensive Stürme, die grosse Waldschäden anrichten, wird es auch in Zukunft geben".
Verjüngungsinventur auf 90 Sturmflächen
Thomas Wohlgemuth führte mit seinem Team 20 beziehungsweise 10 Jahre nach den Orkanen der 1990er Jahre eine einmalige Verjüngungsinventur auf 90 Sturmflächen durch. Die aktuelle Auswertung der Daten zeigt: Praktisch überall ist wieder neuer Wald entstanden. Auf den tief gelegenen Lotharflächen im Mittelland, im Jura und in den Voralpen wuchs im Mittel auf fast jedem Quadratmeter ein Bäumchen. In den höher gelegenen Vivianflächen, die vorwiegend in den Alpen liegen, standen die Jungbäume nach zwei Jahrzehnten hingegen nur halb so dicht. Dort ist die Verjüngung besonders auf grossen Sturmflächen weniger zahlreich. Wurde das Sturmholz geräumt, war die Verjüngung etwas zahlreicher als wenn es im Wald belassen wurde. Wohlgemuth erhob auch die Höhe der jeweils zehn höchsten Bäume pro Sturmfläche und kam zum Ergebnis, dass diese nach einem Jahrzehnt in den tieferen Lagen bzw. nach zwei Jahrzehnten im Gebirge mit 6.5 zu 6.3 m fast gleich hoch sind. Auf den Vivianflächen siedeln sich überwiegend Nadelbäume an, auf den Lotharflächen dagegen vor allem Laubbäume. Ein Fazit aus der Inventur ist für Wohlgemuth, dass sich das Räumen des Sturmholzes erstaunlich positiv auf die Verjüngungsdichte auswirkt. Durch Räumung entstandene Bodenschürfungen bieten den meisten Baumarten ein ideales Keimsubstrat.
Langzeitforschung zeigt Potenzial der Waldverjüngung
Die langsame natürliche Waldentwicklung nach einem Sturm zu erforschen, braucht Geduld. Peter Brang wertete nun die 20 bzw. 10 Jahre nach den Orkanen erhobenen Daten von 19 seit 1990 bzw. 2000 beobachteten Vivian- und Lotharflächen aus und fand auf diesen zwischen 500 und 6000 Bäumchen pro Hektare. Von Bedeutung sind diesbezüglich vor allem die niedrigeren Werte, denn 500 junge Bäume bilden nur einen lockeren Wald und reichen nicht aus, um eine darunter liegende Ortschaft vor Naturgefahren zu schützen. Gepflanzte Fichten hatten gegenüber angesamten Bäumchen nach 20 Jahren einen Höhenvorsprung von durchschnittlich 1.0 bis 2.4 m. Sein Fazit: Wenn nach einem Sturm nicht schon viele Bäumchen da sind, wird man in wichtigen Schutzwäldern eher flächig räumen, vorsorglich Verbauungen erstellen und Bäumchen in Gruppen pflanzen. In allen anderen Wäldern spricht vieles für eine teilweise Räumung mit höchstens punktueller Pflanzung.
Schutzwirkung auf Vivianflächen noch gering
25 Jahre nach Vivian lässt sich die Schutzwirkung von Sturmflächen in Höhenlagen von mehr als 1400 Meter über Meer noch nicht abschliessend beurteilen. Die Untersuchungen von Peter Bebi vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos zeigen, dass die erhöhte Oberflächenrauigkeit von Sturmflächen mit liegendem Holz in den ersten Jahren nach dem Sturm gut gegen Lawinen und Steinschlag gewirkt hat. Doch das Holz hat sich, wie das Beispiel der damals grössten Sturmfläche Cavorgia bei Disentis GR zeigt, nach 20 Jahren auf etwa 40% der ursprünglichen Höhe gesetzt. Da zudem die Dichte junger Bäume erst klein ist und es auch baumfreie Lücken gibt, ist auf solchen Flächen der Schutz vor Naturgefahren deshalb eingeschränkt. Peter Bebi empfiehlt daher, frühzeitig junge Bäume in derartige Lücken zu pflanzen.
Schweiz untersucht Sturmfolgen intensiv
Unmittelbar nach den Stürmen Vivian (1990) und Lothar (1999) stand zunächst der durch die Naturereignisse angerichtete wirtschaftliche Schaden im Vordergrund vieler Diskussionen. Die WSL, das Bundesamt für Umwelt BAFU sowie zahlreiche weitere Partnerinstitutionen haben die Folgen der Stürme Vivian und Lothar seitdem intensiv untersucht und zahlreiche Entscheidungshilfen veröffentlicht. Forstwirtschaft und Forschung haben somit ihre Lehren aus der Behandlung von Sturmflächen, insbesondere in Schutzwäldern, gezogen und sind heute besser für ähnliche Ereignisse in der Zukunft gewappnet. Mit diesen Ergebnissen liegt nun eine für Mitteleuropa relevante Quantifizierung vor, die als Referenz zur Beurteilung der Waldverjüngung nach Windwürfen dienen wird. Wie das Sprichwort sagt: Aus Schaden wird man klug.
Wissenschaftler der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL fassen in der Mai-Ausgabe der Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen (SZF) in mehreren Artikeln ihre Ergebnisse zur Häufigkeit von Winterstürmen und zur Waldentwicklung in Windwurfflächen in der Schweiz zusammen. An dem Schwerpunktheft wirkten Experten der Kantone Bern, Graubünden und Wallis, des Bundesamtes für Umwelt, des Bildungszentrums Wald Maienfeld und der Fachstelle für Gebirgswaldpflege mit. Wissenschaftler der Universität Freiburg i.Br., der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg und der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt ergänzen die Artikel aus der Schweiz mit eigenen Forschungsergebnissen und einer aktuellen Zusammenfassung der Fachliteratur. |
Artikel in der Schweizerischen Zeitschrift für Forstwesen
- 25 Jahre Erfahrung mit Sturmschäden (Editorial T. Wohlgemuth, P. Brang)