Bei Nadelbäumen der nördlichen Hemisphäre erfolgt die Produktion von Biomasse nicht zeitgleich oder mit derselben Geschwindigkeit wie die Zunahme des Stammdurchmessers. Dieses Phänomen, das diesen Monat in der Zeitschrift Nature Plants vorgestellt wurde, konnte ein grosses Konsortium von Forschern, darunter drei Mitarbeiter der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, erstmals aufzeigen und quantifizieren.
![Abb. 2. Automatisch messende Dendrometer, im Bild an einer Lärche im Lötschental (Kanton Wallis, Schweiz), messen und speichern den Stammumfang alle 30 Minuten. Die Forschenden können auf diese Weise die Dynamik der Umfangschwankungen verfolgen. Klicken Sie auf das Bild, um es zu vergrössern. Foto: Henri Cuny, WSL](/fileadmin/_processed_/3/3/csm_WSL_News_dendro_Cuny_fig2_gr_1fc5dbc490.jpg)
![Abb. 3. - Mit einem dünnen Spezialbohrer werden den untersuchten Bäumen 2 mm dicke und 1.5 cm lange Holzbohrkerne entnommen. Die Probeentnahme kann während einer Vegetationszeit am gleichen Baum wiederholt werden, um das Holzwachstum mit hoher zeitlicher Auflösung zu verfolgen. Klicken Sie auf das Bild, um es zu vergrössern. Foto: Henri Cuny, WSL](/fileadmin/_processed_/5/3/csm_WSL_News_dendro_Cuny_fig3_gr_bddc0f0b4a.jpg)
![Abb. 4. - Anatomischer Querschnitt durch einen dünnen Holzbohrkern, wie er unter einem optischen Mikroskop mit 100-facher Vergrösserung sichtbar ist. Der Querschnitt zeigt die für Koniferen typischen Holzzellen, die Tracheiden. Wenn diese vom Kambium (C) gebildet werden, wachsen sie und verfestigen ihre Zellwände. Dieser Prozess ist die Grundlage für den signifikanten Zeitunterschied zwischen dem Zuwachs an Stammgrösse und seiner Biomasse. Klicken Sie auf die Grafik, um sie zu vergrössern. Grafik: Henri Cuny, WSL](/fileadmin/_processed_/3/4/csm_WSL_News_dendro_Cuny_fig4_DE_gr_32decb46cf.jpg)
![Abb. 5. Jahreszeitliche Dynamik des Wachstums von Stammumfang, Holzzellengrösse (Xylem) und Produktion der Holzbiomasse. A. Variation des von ausserhalb des Stammes mit Dendrometern gemessenem Radialzuwachses. B. Wachstumsrate der Holzzellen, ermittelt aus den Zellmessungen während der Holzbildung. C. Biomasseproduktion, ermittelt aus den Zellmessungen während der Holzbildung. Klicken Sie auf die Grafik, um sie zu vergrössern. Grafik: Henri Cuny, WSL](/fileadmin/_processed_/9/2/csm_WSL_News_dendro_Cuny_fig5_gr_9c18499bbd.jpg)
Die beobachtete Verzögerung zwischen veränderter Stammbreite und Biomasse legt nahe, dass diese beiden Wachstumsprozesse von unterschiedlichen lokalen Umweltbedingungen wie Licht, Temperatur und Wasserverfügbarkeit gesteuert sind. Diese Erkenntnis hat entscheidende Auswirkungen auf unser Verständnis des Kohlenstoffzyklus. Nach intensiver Beobachtung des Baumwachstums auf Zellebene fanden die Forscher heraus, dass die Produktion verholzter Biomasse etwa einen Monat nach Zunahme des Stammdurchmessers einsetzt. Dieses Ergebnis wurde in einer internationalen Studie vorgestellt, die Henri Cuny leitete. Er war früher beim französischen Nationalen Institut für Agrarforschung (INRA) beschäftigt und ist heute bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL tätig.
Die Erkenntnisse basieren auf Tausenden Beobachtungen von Zellen bei der Holzbildung sowie auf meteorologischen Daten an drei Standorten in den Vogesen im Nordosten Frankreichs. Zudem wurden Daten von über 50 Forschungsstandorten auf der ganzen nördlichen Halbkugel gesammelt. Ein wichtiger Standort dieses Netzwerkes ist das Schweizer Lötschental im Wallis. Hier beschäftigt sich die WSL seit 2007 mit der hochauflösenden Beobachtung der Holzbildung der gemeinen Fichte und der europäischen Lärche entlang eines Höhengradienten von 800 bis 2200 Metern ü.M.
Auf der Spur der Holzbildung mithilfe von Mikrobohrkernen
Die Co-Autoren dieser Studie sammelten über mehrere Jahre kleine Holzproben, sogenannte Mikrobohrkerne. Damit konnten sie die saisonale Dynamik der Bildung von Tracheiden, d. h. von Zellen, aus denen der grösste Teil des Holzes von Koniferen besteht, präzise quantifizieren. «Mit diesen Proben hatten wir die Möglichkeit zu beobachten, wie einzelne Baumringe gebildet werden und Kohlenstoff im Holzgewebe eingelagert wird», erläutert Henri Cuny, Erstautor der Veröffentlichung. Weiter sagt er: «Doch die Messungen mit Dendrometern, die Veränderungen im Durchmesser aufzeichnen, lieferten ein anderes Bild: Zwischen den Kohlenstoffablagerungen im Holz und der Zunahme des Stammdurchmessers besteht eine grosse Zeitverzögerung».
Mikroskopische Untersuchungen hauchdünner Querschnitte aus den Mikrobohrkernen zeigten, dass Tracheide sich in nur wenigen Tagen vergrössern und dann ihre dicken verholzten Sekundärwände bilden, was mehr als zwei Monate dauern kann. Dieser Prozess ist die Grundlage für die erhebliche Zeitverzögerung zwischen der Zunahme der Grösse und der Zunahme der Biomasse der Baumstämme.
Entscheidende Konsequenzen für unser Verständnis des Kohlenstoffzyklus
Die Studie zeigt, dass diese zeitliche Verschiebung in Nadelbäumen in der Schweiz und auf der nördlichen Hemisphäre allgemein weit verbreitet ist. Der entdeckte Zeitversatz hat bedeutende Auswirkungen auf die Erforschung des Kohlenstoffzyklus. Das bedeutet beispielsweise, dass die saisonale Bindung von Kohlenstoff im Holz nicht direkt anhand äusserer Messungen der Stammdurchmesser beurteilt werden kann.
Diese detaillierte mechanistische Darstellung, wann und wie Kohlenstoff in Abhängigkeit von Umweltbedingungen im Holz gebunden wird, liefert entscheidende Informationen darüber, wie die Auswirkungen des Klimawandels auf das Baumwachstum und die Kohlenstoffflüsse in Waldökosystemen eingeschätzt werden können.
Wissenschaftliche Publikation
Cuny H. et al. (2015) Woody biomass production lags stem-girth increase by over one month in coniferous forests. Nature Plants. doi:10.1038/nplants.2015.160
Kontakt
- Henri Cuny, PhD
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