Das Erbgut untersuchen, um Wälder «Klima-smart» zu machen

11.10.2021  | Stephanie Kusma | News WSL

Wie kann das Studium des Erbguts von Bäumen helfen, Wälder an ein zukünftiges Klima anzupassen? Hierüber diskutierten Forschende an der ersten internationalen Evoltree-Konferenz an der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Birmensdorf.

Über Tausend Jahre – so alt ist eine Eibe im Emmental. Das Gros der Bäume ist zwar deutlich jünger. Aber sie gehören immer noch zu den langlebigsten Organismen in der Natur. Im Klimawandel kann das ein Nachteil sein: Verschlechtern sich die Umweltbedingungen, sollte man schnell reagieren können: sich anpassen oder an günstigere Standorte ausweichen.

Langsame Anpassung

Das fällt Baumbeständen schwer. Zunächst dauert es Jahre, bis Bäume überhaupt Samen bilden. Dann aber produzieren sie diese über Jahrzehnte. «Damit erzeugen sie Nachkommen, die nicht an die aktuellen Verhältnisse angepasst sind, sondern an die, unter denen sie selber aufgewachsen sind», erklärt Felix Gugerli, einer der Organisatoren der ersten internationalen Konferenz des Evoltree-Netzwerks, die an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Birmensdorf stattfand. Bäume hinken den aktuellen Verhältnissen daher immer jahrzehnte- bis jahrhundertelang hinterher.

Bei Wirtschaftswäldern dauert es Jahre, bis die Stämme geerntet werden können – Jahre, in denen sie möglicherweise unter suboptimalen Bedingungen wachsen und deshalb schlechtere Erträge bringen. Wie Genomforschung an Bäumen dabei helfen kann, diesem Zeitrückstand zu begegnen und Wälder Klima-smart zu machen, war eines der Themen, die Forschende an der Konferenz diskutierten.

Genetische Vielfalt notwendig

Dabei bringen viele Baumarten eigentlich die genetischen Voraussetzungen mit, sich zumindest in einem gewissen Ausmass an unterschiedliche Standorte anzupassen. Dafür muss die Art als Ganzes jedoch eine Bandbreite an Genvarianten besitzen. Dann geht zwar vielleicht ein einzelner Baum am «falschen» Standort ein. Ein Artgenosse gedeiht aber möglicherweise trotzdem – und die Spezies überlebt an diesem Ort. Diese sogenannte genetische Variabilität, die Vielfalt der Gene, ist ein wichtiger Teil der Biodiversität.

Bei schnelllebigen Arten können rasch wechselnde Umweltbedingungen mit dafür sorgen, dass sie erhalten bleibt, wie John Kelly von der University of Kansas an der Konferenz erklärte. Er untersucht gefleckte Gauklerblumen (Mimulus guttatus) am Iron Mountain in Oregon, USA. Die winzigen Blümchen wachsen in einer Höhe, die ihnen jährlich nur wenige schneefreie Wochen gewährt, um zu wachsen, zu blühen und Samen auszubilden.

Sind es einige Tage mehr, «gewinnen» jene Pflänzchen, die grösser wachsen. Denn sie bilden mehr Samen aus. Schneit es allerdings früher als gewöhnlich, «siegen» jene Gauklerblümchen, die klein bleiben und weniger Samen produzieren – diese aber früher reifen. Da die Bedingungen immer wieder wechseln, bleiben beide «Versionen» der Pflanze im Spiel – und die Forscher können jene Genvarianten identifizieren, die diesen Eigenschaften zugrunde liegen.

Dürreresistenz im Erbgut verankert

So schnell wie eine Population von Gauklerblumen reagiert ein Baumbestand nicht. Hier könnte die Analyse von Samen oder Sämlingen helfen: «In den Samen sieht man das ganze genetische Potenzial der Art», sagt Gugerli. Sie zu analysieren, könnte dabei helfen, Genvarianten zu entdecken, die unter den herrschenden Umweltbedingungen besonders günstig sind: Pflanzt sich etwa ein Baum auffällig gut fort, könnte das auf einen Anpassungsvorteil einer Genvariante oder Kombination von Genvarianten hindeuten. War die entsprechende Saison beispielsweise wärmer als gewöhnlich, fühlte sich der Baum vielleicht gerade deshalb besonders wohl.

Eine andere Möglichkeit, um vorteilhafte Genvarianten zu finden, sind Versuche im Gewächshaus. Rafael Candido Ribeiro von der University of British Columbia und seine Kollegen etwa liessen über 1400 Sämlinge von Douglasien (Pseudotsuga menziesii) austrocknen. Die Samen stammten von unterschiedlichsten Standorten. Die Sämlinge überlebten die künstliche Dürre unterschiedlich lang – und den Forschenden gelang es, Stellen in deren Genom zu identifizieren, die mit der erhöhten Trockenheitsresistenz zusammenhängen dürften.

Doch nicht immer braucht es dafür Gewächshäuser: Jill Sekely von der Universität Marburg nutzte für ihre Forschung ein Freilandlabor: Die Lenga-Südbuche (Nothofagus pumilio) wächst in den Anden einerseits über Hunderte Kilometer in Nord-Süd-Richtung und andererseits entlang der Bergflanken auf unterschiedlichen Höhenstufen. Die Forscherin konnte so wiederum Genvarianten identifizieren, die mit den unterschiedlichen Umweltfaktoren an den stark verschiedenen Standorten zusammenhängen.

Devrim Semizer-Cuming von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg  stellte ein Projekt mit Eichen vor, die auf trockenen, unproduktiven Standorten leben. Weil diese für den Menschen uninteressant sind, konnten die Bäume dort seit Jahrhunderten ungestört wachsen und dürften sich an ihre kargen Lebensbedingungen angepasst haben. Analysen sollen nun Genvarianten identifizieren, die den Eichen das Leben mit den trockenen Bedingungen ermöglichen. «Solches Wissen könnte dereinst in der Züchtung oder Auswahl von Bäumen eingesetzt werden, die besser an ein zukünftiges Klima angepasst sind», sagt der Eichenforscher Christian Rellstab von der WSL, der Mit-Organisator der Konferenz und am Projekt beteiligt ist.

Eichenhybriden im Schweizer Wald

Hierbei könnte auch die genetische Analyse von Bäumen helfen, deren Eltern zwei verschiedenen Arten angehören: In solchen sogenannten Hybriden mischt sich das Erbgut zweier Arten. Und mit etwas Glück in einer Weise, die den Hybriden auf einem Standort einen Vorteil verschafft, auf dem die Eltern weniger gut gedeihen. Zudem können sie ihren eigenen Nachkommen Kombinationen günstiger Genvarianten weitergeben. «Hybridisierung steigert einerseits die genetische Diversität und ermöglicht andererseits durch Rückkreuzung die Übertragung vorteilhafter Genvarianten von einer Art zur anderen», sagt Oliver Reutimann von der ETH Zürich.

Hybride am Aussehen zu erkennen, kann allerdings schwierig sein – zumal, wenn schon die Elternarten selbst für Experten schwer auseinanderzuhalten sind. Bei Trauben- (Quercus petraea) und Flaumeiche (Q. pubescens) ist dies der Fall. Deshalb hat die WSL-Studie, die Reutimann an der Evoltree-Konferenz vorstellte, genetische Fingerabdrücke benutzt, um die Eichenarten in Schweizer Wäldern zu bestimmen. Die Forschenden fanden einerseits reine Bestände, andererseits aber auch solche, in denen ein ganzer Reigen an Bäumen wuchs, deren Erbgut in unterschiedlichem Mass gemischt war.

Die Entstehung solcher Hybriden ist kein neues Phänomen. «Aber es könnte sein, dass sie jetzt an gewissen Standorten im Vorteil gegenüber den Elternarten sind», sagt Rellstab. So war in der Untersuchung ihr Anteil etwa an Orten mit stark schwankenden Umweltbedingungen höher. Möglicherweise schaffen sie es, zu überleben, wo sich die Eltern im Klimawandel nicht mehr wohlfühlen. So könnten auch neue Arten entstehen: «Ein ganz grosser Teil der heute lebenden Pflanzenarten soll aus Hybridisierungen hervorgegangen sein», sagt Gugerli.

Menschliche Unterstützung benötigt

Manchmal ist eine Anpassung jedoch gar nicht nötig: dann nämlich, wenn es eigentlich passende Lebensräume gäbe – wenn man sie denn besiedeln könnte. Hier drohen manche Arten zu scheitern. Die Serbische Fichte (Picea omorika) beispielsweise. Jelena Aleksić von der Universität Belgrad stellte an der Konferenz einen ehrgeizigen Rettungsplan für den charakteristisch hohen, schmalen Nadelbaum vor, der zu den seltensten Baumarten Europas gehört. Den Baum in neue, passende Lebensräume in Nordeuropa anzupflanzen, was assistierte Migration genannt wird, und die Art so vor der zunehmenden Bedrohung durch die Klimaerwärmung und die Konkurrenz durch andere Baumarten zu retten, ist dabei zentral.

In der Schweiz wäre ein solches Vorgehen etwa für die Arve (Pinus cembra) zu überlegen. Wie Gugerli an der Evoltree-Tagung berichtete, ist die genetische Vielfalt des Baums zwar hoch. Aber die Arve ist zu langsam, um rasch genug auf höhere Standorte auszuweichen – und von unten drängt die schneller wandernde und konkurrenzstarke Fichte nach. Das liegt auch an der Ausbreitung der Arve durch den Tannenhäher (Nucifraga caryocatactes). Dieser hat keine Veranlassung, seine Vorräte an Arvensamen über die heutige Waldgrenze zu verlegen, weshalb die Ausbreitung nach oben nur langsam vorangeht. Der Mensch könnte der Arve mehr Zeit für Anpassung und Ausbreitung geben, indem er den Druck durch die Fichte künstlich reduzierte, also die nachrückenden Fichten fällte. Oder er könnte – arbeitsintensiver – selbst Arven in höhere Regionen pflanzen.

Dann wäre es hilfreich, die richtigen Bäume auswählen zu können – solche, die sich auch dann noch an ihren Standorten wohlfühlen, wenn diese wiederum wärmer werden, und deren zukünftige Nachkommen die grösstmöglichen Überlebenschancen haben. Solche Entscheidungen kann Wissen aus Genom-Analysen möglicherweise dereinst erleichtern. Zudem kann es zur Erhaltungung der genetischen Vielfalt und Arten in ihren Lebensräumen beitragen.


Die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel war nicht das einzige Thema an der Evoltree-Konferenz. In Vorträgen und Posterpräsentationen stellten Forschende verschiedenste Untersuchungen an Bäumen und den Organismen vor, die mit ihnen zusammenleben. Manche betrachteten das Erbgut dieser Arten aus evolutionärer Sicht oder stellten neue Methoden vor. Andere analysierten auf Populationsebene Unterschiede in der räumlichen oder (etwa mit Hilfe uralter DNA) zeitlichen Verteilung von Genvarianten oder untersuchten Korrelationen zwischen ökologischen und genetischen Faktoren, die auf evolutive Anpassung an Umweltvariation hinweisen.

 

Kontakt

Projekte

Publikationen

Copyright

WSL und SLF stellen Bildmaterial zur Bebilderung von Presseartikeln im Zusammenhang mit dieser Medienmitteilung kostenfrei zur Verfügung. Eine Übernahme der Bilder in Bilddatenbanken und ein Verkauf der Bilder durch Dritte sind nicht gestattet.