Die forstlichen Herausforderungen von morgen – auf der Alpensüdseite bereits Realität!

01.11.2023 | Gottardo Pestalozzi | WSL News

Die Wälder der Südschweiz zeigen schon heute, was auf die Forstfachleute nördlich der Alpen zukommt. Rund 100 von ihnen diskutierten diese Fragen am 27. Oktober 2023 an einer Tagung in Bellinzona eingehend. Den wissenschaftlichen Beitrag lieferte die Eidgenössische Forschungsanstalt WSL, während Vertreter der Forstdienste der Kantone Tessin und Graubünden Konzepte und praktische Umsetzungsmassnahmen vorstellten.

Roland David, Leiter der Sektion Wald des Kantons Tessin, erläuterte in seiner Einführung die zahlreichen Ökosystemleistungen des Waldes. Damit diese auch angesichts des Klimawandels erhalten werden können, ist es unsere Aufgabe, den Wald zu schützen und zu pflegen.

In der nachfolgenden Stunde präsentierten WSL-Forschende anhand ihrer Forschungsergebnisse die aktuellen Herausforderungen im südschweizerischen Wald.

Die Kastanie, ein «Zukunftsbaum»?

Marco Conedera, Leiter der Gruppe Insubrische Ökosysteme der WSL in Cadenazzo, erläuterte die Situation der Kastanie. Als wärmeliebende Art wird sie oft als "Baum der Zukunft" für die Alpennordseite in Betracht gezogen. Ihre Anpassungsfähigkeit ist jedoch begrenzt: Die Kastanie ist licht- und pflegebedürftig, verträgt Trockenheit nicht gut und ist anfällig für verschiedene Krankheitserreger. Für die Forststrategie ist nicht nur die aktuelle Verbreitung einer Art von Bedeutung, sondern auch die Kenntnis ihrer Anbaugeschichte, das Vorhandensein möglicher Krankheiten (auch bei verwandten Arten) und ihre Plastizität, d.h. ihre Fähigkeit, sich an allgemeine Bedingungen mit erhöhtem Wasserstress anzupassen.

Das Wild frisst die Weisstanne

Diese Anpassungsfähigkeit, insbesondere an steigende Temperaturen, wird zum Beispiel der Weißtanne zugeschrieben. Sie könnte der Zukunftsbaum schlechthin in alpinen Schutzwäldern werden, denn sie ist vermutlich weniger trockenheitsempfindlich als die Fichte und trägt mit ihren tiefen Wurzeln zur Stabilisierung des Bodens bei. Esther Frei von der WSL-Gruppe Bergökosysteme beobachtet seit sieben Jahren die Verjüngung der Weisstanne im Misox (Graubünden). Ziel ist es, die Umweltfaktoren zu ermitteln, die ihre Verjüngung begünstigen oder behindern. Die Ergebnisse sind entmutigend: Das Überleben junger Weisstannen hängt fast ausschliesslich von der Intensität ab, mit der sie von wilden Huftieren und insbesondere von Hirschen beweidet werden. Wenn es nicht gelingt, die Wilddichte und die Wildschäden unter Kontrolle zu halten, ist nicht nur die Verjüngung, sondern gar das Überleben der Art im Misox gefährdet.

Neophyten auf dem Vormarsch

Wo einheimische Bäume in Mitleidenschaft gezogen werden, z. B. nach einem Störungsereignis wie einem Sturm oder einem Waldbrand, breiten sich häufig invasive Pionier-Neophytenarten aus. Auch in intakten Wäldern verbreiten sich die immergrünen Schmetterlingsblütler. Darunter befinden sich  Neophyten wie die Chinesiche Hanpalme oder der Kirschlorbeer. Diese sind im Unterholz sehr aggressiv sind, insbesondere in der Nähe von Gärten, in denen Samen dieser Arten wachsen. Die neuen invasiven Arten vertragen Hitze und Trockenheit relativ gut und werden von Wild nicht gefressen. Erich Gehring von der WSL-Gruppe Insubrische Ökosysteme erläuterte die Folgen für den Wald am Beispiel des Götterbaums und der Chinesischen Hanfpalme. Durch ihre rasche Ausbreitung verdrängen diese Neophyten einheimische Arten und bilden in vielen Fällen unerwünschte Monokulturen. Ihre Fähigkeit, Waldfunktionen wie z.B. den Schutz zu übernehmen, ist noch wenig erforscht. Im Falle der Palme kann ihr massives Auftreten im Falle eines Brandes zu einem Problem werden, da sie dazu neigt, die Intensität der Flammen zu erhöhen.

Schutz vor Waldbrand

In unseren Breitengraden werden Waldbrände meist durch menschliches Verhalten verursacht. Das zeigt sich sehr gut an den Auswirkungen des 1987 eingeführten Verbots des Verbrennens von Gartenabfällen im Freien, das die Häufigkeit von Bränden drastisch reduzierte. Heute jedoch, so Boris Pezzatti von der WSL-Gruppe Insubrische Ökosysteme, sind es Dürreperioden und die Anhäufung von Brennmaterial im Wald, die zu einer Zunahme der Intensität und Schwere von Bränden beitragen können, die sich der Kontrolle der Feuerwehr entziehen. Die Forschung der WSL in Cadenazzo zum Thema Waldbrände hat dazu beigetragen, kantonale Strategien zur Prävention und zum Umgang mit diesem Phänomen zu entwickeln oder zu verbessern.

Südkantone setzen Präventionsmassnahmen um

Adrian Oncelli und Kantonsgeologe Andrea Pedrazzini, beide von der Sektion Wald des Kantons Tessin, erläuterten die Massnahmen zur Waldbewirtschaftung, zur Bekämpfung von invasiven Schädlingen und zur Prävention von Naturgefahren im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Luca Plozza, Forstingenieur vom Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Graubünden, erläuterte das Waldbrandbekämpfungskonzept des Kantons und die Wirkung der Götterbaum-Bekämpfungsstrategie im Misox.

Die Diskussionsrunde am Nachmittag war geprägt von einem regen Austausch zwischen Vertretern von Politik, Behörden und Verbänden und dem anwesenden Publikum. Gesellige Momente wie das gemeinsame Mittagessen und der abschließende Aperitif boten zudem reichlich Gelegenheit, weiterführende Arbeitsbeziehungen aufzubauen oder zu erneuern.

Die Tagung wurde von Wald Schweiz und dem Schweizerischen Forstverein in Zusammenarbeit mit der Sektion Wald des Kantons Tessin, Bosco Ticino, Federlegno und der WSL in Cadenazzo organisiert.

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Fotogalerie

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Rund hundert Teilnehmende am Symposium & Netzwerk Wald in Bellinzona, 27. Oktober 2023. Foto: Gottardo Pestalozzi / WSL
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Esther Frei. Foto: Gottardo Pestalozzi / WSL
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Eric Gehring. Foto: Gottardo Pestalozzi / WSL
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Boris Pezzatti. Foto: Gottardo Pestalozzi / WSL
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Adrian Oncelli. Foto: Gottardo Pestalozzi / WSL
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Andrea Pedrazzini. Foto: Gottardo Pestalozzi
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Convegno & NetwerkWald, Bellinzona. Foto: Gottardo Pestalozzi
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Luca Plozza. Foto: Gottardo Pestalozzi / WSL
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Adrian Oncelli, Luca Plozza. Foto: Gottardo Pestalozzi

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