Energiewende: Zaghafte Umsetzung trotz guter Ausgangslage

05.12.2019  | Reinhard Lässig | News WSL

Das diesjährige Forum für Wissen an der Eidg. Forschungsanstalt WSL in Birmensdorf widmete sich der Frage, wie sich die Energiewende durch die vermehrte Nutzung erneuerbarer Ressourcen voranbringen liesse. Das Potenzial von Biomasse, Wasser, Wind- und Sonnenkraft ist in der Schweiz zweifellos gross. Zur Erreichung der Energieziele braucht es aber die Handlungsbereitschaft und Akzeptanz seitens der Bevölkerung sowie der Politik.

Auf dem Weg zu einer Gesellschaft, die ihre Energie ausschliesslich aus erneuerbaren Ressourcen erzeugt, schreitet die Schweiz nur langsam voran. Beispiele für den zaghaften Wechsel von fossilen zu erneuerbaren Ressourcen gibt es viele. Der Bau neuer Photovoltaikanlagen kommt schleppend voran, obwohl jedes dritte Hausdach in der Schweiz mit Solarzellen bestückt sein müsste, um die Ziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen. Und obwohl sich die Mehrheit der Bevölkerung für den Atomausstieg ausgesprochen hat, tut sie sich mit neuen Windkraftanlagen schwer, von denen es dann landesweit etwa 700 bräuchte.

Ein weiterer Widerspruch findet sich im Konsum, so die Umweltökonomin Irmi Seidl (WSL): «Einerseits verwendet die Wirtschaft Energie und Rohstoffe zunehmend effizient, anderseits werden damit erreichte Einsparungen durch vermehrten Konsum wieder zunichtegemacht». Aus diesem Grund sollten die Menschen stärker in den Wendeprozess eingebunden werden, bekräftigt Katrin Bernath, Stadträtin in Schaffhausen: «Da müssen wir in der Bevölkerung an der Basis anfangen, es sind aber auch Politik und Wirtschaft gefragt».

Massnahmen zur Energiestrategie sind auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen. Eine erstmalige, gemeinsam von WSL und ETH Zürich durchgeführte Umfrage zu Energieanlagen in der Landschaft ergab, dass ein Mix von Wind- und Solarenergieanlagen zu einer besseren Bewertung führte als Gruppen mit ausschliesslich Windrotoren. In naturnahen Hochgebirgsregionen und hügeligen Landschaften (Jura, Voralpen) wurden Energieanlagen deutlich schlechter bewertet als im Mittelland. Und ein totales Fehlen von Photovoltaik kam weniger gut an als deren Vorhandensein in geringem bis mittleren Ausmass. Boris Salak (WSL) zeigte: «Die Bevölkerung beginnt die Zeichen der Zeit zu erkennen, doch um die Energiewende zu erreichen, ist noch viel Überzeugungsarbeit notwendig».

Bei grosser Planung auch das Kleine sehen

Das 2017 verabschiedete Energiegesetz war zweifelsohne ein mutiger Entscheid, wird bislang jedoch unzureichend und vorwiegend in kleinen Projekten umgesetzt. Ein energetisch und ökologisch interessantes Projekt zur «Smart-light-Technologie» entwickelt EKZ derzeit in Zusammenarbeit mit der WSL an ausgewählten Strassenzügen in der Agglomeration Zürich. Dank neuartiger LED-Leuchten und automatischer Bewegungsmelder eilt der beleuchtete Teil einer Strasse dem Fahrzeug immer etwas voraus, nach dem Vorbeifahren erlischt das Licht wieder. Das innovative Beleuchtungskonzept spart einerseits Energie, wirkt sich aber auch positiv auf nachtaktive Insekten aus, wie Janine Bolliger (WSL) herausfand.

Die Biomasse könnte für die Energiewende ein Joker sein. Insbesondere wäre noch viel Hofdünger verfügbar: «Die darin enthaltene Energie entspricht ca. 10 % der Kernbrennstoffe oder sogar 24% der Erdgasimporte», betonte Vanessa Burg (WSL). Zudem kann das erzeugte Biogas gespeichert werden und steht somit – im Gegensatz zu Wind und Sonne - rund um die Uhr zur Verfügung.

Wasser: Energieträger, Speicher und Lebensraum in einem?

Die Wasserkraft erzeugt mehr als die Hälfte der Energie in der Schweiz, weist aber nur ein geringes zusätzliches Potenzial auf. Bedingt durch den Klimawandel gewinnen Wasserkraftspeicher zunehmend auch für andere Nutzungen an Bedeutung, da in Zukunft vermehrt mit saisonaler und lokaler Wasserknappheit zu rechnen ist. «Fällt das Schmelzwasser der Gletscher weg, könnten bei entsprechender Bewirtschaftung alpine Speicherseen Wasserknappheit im Mittelland kompensieren», sagte Elke Kellner (WSL), «dies sollte man berücksichtigen, wenn Erneuerungen von Konzessionen für Wasserkraftspeicher verhandelt werden».

Wasser ist auch Lebensraum. Dem gilt Sorge zu tragen, wenn Gewässer zur Energieerzeugung oder zu Wärme- und Kühlzwecken genutzt werden. «Durch die Energienutzung können sich Flüsse und Seen abkühlen oder, zusätzlich zum Klimawandel, weiter erwärmen. Der Schutz von erreichbaren kühleren Zufluchtsorten kann wärmeempfindlichen Fischen wie beispielsweise Forellen und Äschen, erlauben, zu hohen Temperaturen in einem Gewässer vorübergehend auszuweichen", sagte Martin Schmid (Eawag).

Wirtschaft und Gesellschaft einbeziehen

Das diesjährige Forum für Wissen zeigte, das sich die Schweiz in einem spannungsreichen Veränderungsprozess befindet, der nicht ausschliesslich von der Politik gesteuert werden kann. Damit die Technologien und Erkenntnisse aus der Forschung für den Umbau des Energiesystems auch wirklich genutzt werden, ist der verstärkte Einbezug der Wirtschaft und Gesellschaft in die Energiewende allgemein, aber auch in Entscheidungen und Umsetzungsprozesse zwingend, wie die Tagungsleiterin Astrid Björnsen betonte: «Bisher ist das Verständnis, dass jeder Einzelne ein Akteur der Energiewende ist, bei vielen Menschen noch nicht angekommen, unter anderem auch deswegen, weil die finanziellen Anreize hierfür noch nicht ausreichen».

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