Fässer aus Robinienholz: Die WSL stellt die Grappa-Frage

An der Eidg. Forschungsanstalt WSL sind wir stets bereit, pragmatische Lösungen zu finden. Diesmal zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Robinienwäldern: Wir erforschen, ob sich das Holz zum Ausbau von Grappa eignet.

An der - online durchgeführten - Agroscope-Brennereitagung vom 4. Februar 2021 gab es zum ersten Mal einen Grappa zu verkosten, der in Tessiner Robinienholzfässern ausgebaut wurde. An diesem Anlass treffen sich jedes Jahr Lebensmittelexperten, Destillateure, Önologen und Obstverarbeiter zum Fachaustausch. Wie haben sie den neuen Grappa beurteilt? Und was hat das mit nachhaltiger Holznutzung und WSL-Forschung zu tun?

Wie kommt man auf den Gedanken?

Beginnen wir beim Anfang: Im Sommer 2018 machen Mark Bertogliati, Forstingenieur an der WSL, und der Agroscope-Standortleiter und Agraringenieur Mauro Jermini zusammen Kaffeepause im gemeinsamen Forschungscampus in Cadenazzo. Sie kommen auf die Robinie zu sprechen, die sich seit etwa 200 Jahren im Tessin breitmacht und auf der Schwarzen Liste  der invasiven Organismen steht.

«Es gibt so viele Robinien, in ungepflegten, vernachlässigten Wäldern. Und sie verdrängen einheimische Gehölz … », bemängelt Jermini. 

«Das Holz wird aber auch vermehrt gefragt. Wir sollten ein Projekt entwickeln, um Waldbesitzer zusätzlich zu motivieren, ihre Wälder zu pflegen», erwidert Bertogliati.

«Ich habe DIE Idee!», verkündet Jermini. «Eine Idee, wie wir Waldbesitzer motivieren könnten, im bewirtschafteten Wald auf schöne, gerade Robinenstämme hinzuarbeiten.Grappa im Holzfass liegt doch im Trend. Warum immer nur Eiche? Vielleicht verleiht die Robinie dem Grappa eine ganz besondere Note. Damit könnte man zwei Fliegen auf einen Streich schlagen: Einen Grund, die Robinienwälder zu pflegen, und ein neues originelles Tessiner Produkt für die Gastronomie.»

Ab in die Destillate-Forschung

Sonia Petignat leitet bei Agroscope die «Extension Destillate» (destillate.agroscope.ch). Rasch ist sie vom Potenzial des Vorhabens überzeugt. Auch die Vereinigung Federlegno und der Forschungsfonds Wald und Holz des Bundesamts für Umwelt, der die Finanzierung übernimmt, unterstützen das Projekt.

Und so kommt es, dass im November 2019 der Trester der gesamten Traubenernte der Landwirtschaftsschule Mezzana, 5000 Kg, in die Kessel der mobilen Brennerei von Christian Mathys und Sergio Peverelli, ehemalige Mitarbeiter der Eidgenössischen Alkoholverwaltung, endet. Nach 290 Stunden Dauerbetrieb entstehen daraus, nach Alkohol-Reduktion auf 58% vol., etwa 370 Liter Grappa. Das Projekt bietet meiner Wenigkeit nicht nur die Gelegenheit, einen Medienanlass mit zu organisieren, sondern auch am frisch destillierten Grappa zu schnuppern. Sogar das Tessiner Fernsehen macht einen Beitrag darüber.
 

Das war aber sozusagen erst der Vor-Grappa. Nun muss das Destillat im Fass lagern und reifen. Schon lange im Voraus hatte Projektleiter Mark Bertogliati die besten Robinenstämme in der Region Mendrisio ausgewählt und bei der Sägerei Taiabò gelagert. Mit dem luftgetrockneten Holz stellt die Küferei Suppiger drei 50 Liter Fässer her. Für den Vergleich stehen diesen drei gleich grosse Eichenfässer gegenüber. Der Grappa wird nun in die sechs Fässer abgefüllt und sechs Monate bei Agroscope gelagert. 

Jeden Monat entnehmen Experten eine Probe für chemische Analysen und sensorische Tests, unter anderem mit der «elektronischen Nase», die bei Agroscope im Einsatz steht. An der online stattfindenden Agroscope-Brennereitagung hat die neue Grappa nun ihren ersten öffentlichen Auftritt.
 

Das erste Tasting

Zusammen mit weiteren rund 100 Teilnehmenden habe ich einige Tage vor dem Anlass per Post drei Laborröhrchen erhalten mit je einer Grappaprobe.

Nach einem Vortrag über Sensorik von Jonas Inderbitzin (Agroscope), dürfen wir uns mit Nase und Gaumen selbst einen Eindruck verschaffen.

Die Röhrchen sind unbeschriftet, aber aufgrund der dunkleren Farbe glaube ich zu wissen, welches die Robiniengrappa ist - bin somit nicht ganz unvoreingenommen. Sie erscheint mir etwas herber, würziger als jene, die im Eichenfass gereift ist. Vielleicht weniger zugänglich, dafür interessanter. 

Nach dem alle verkostet haben, gibt es eine Online-Abstimmung, in der die Teilnehmenden ihre eigenen Geschmackseindrücke übermitteln können. So erfahren wir sofort, was die Testerinnen und Tester wahrnehmen. 

Hat der Robiniengrappa eine Chance am Markt?

Ob dieser Achtungserfolg ein Hinweis für später einmal gute Verkaufszahlen ist, kann noch lange nicht abgeschätzt werden. Zumal der erstmalige Fassausbau nur eine Art Prototyp ist. So weiss man zum Beispiel noch nicht, ob die Reifedauer von sechs Monaten optimal ist, und welche Fassgrösse am besten passt. 

Als Nächstes ist im Herbst 2021 ein öffentlicher Anlass im Tessin vorgesehen. Dort sollen Gastronomen, Weinhändler und allgemein Interessierte den neuen Grappa probieren können. Vielleicht gibt es bald eine hübsche Flasche, die wir als originelles Geschenk aus unserm Heimatkanton bei Einladungen mitbringen und auch selbst geniessen können. Vielleicht bekommt das neue Produkt eine genügend grosse Verbreitung, so dass gepflegte Robinienwälder Nachschub für Grappafässer liefern werden. Wir werden es in einigen Jahren wissen.

Und wer baut die Fässer? Video

Fragen und Antworten

1. Wieviel Zucker wurde dem Grappa beigegeben?
In den Versuchen wurde kein Zucker zugegeben, erlaubt wären 20gr/L im Fertigprodukt

2. Vielleicht wäre das Ergebnis mit gebrauchten Weinfässern besser?
Ja in der Praxis werden oft gebrauchte Weinfässer eingesetzt, aber um herauszufinden, ob in Robinien gelagerter Grappa potenzial und genügend Unterschiede aufweist, um ein AOC-Produkt zu kreieren, mussten wir mit neuen Fässern arbeiten. Gebrauchte Fässer hätten zu viele Variablen bei den Analysen und der Degustation. Zudem fokussierten wir auf die Wald-Holz Wertschöpfungskette und da ist es interessanter mit neuen Fässern zu rechnen.

3. Wie wurden die Fässer vor der Befüllung mit dem Destillat behandelt?
Die Fässer waren alle gleich getoastet (mittel) und wurden 24 h mit Wasser befüllt, um deren Dichtheit zu prüfen. 

4. Wurde der Grappa wie üblich hochprozentig gelagert?
Der Grappa wurde mit 58%vol in die Fässer gefüllt. Die Degustationsproben hatten 42%vol

5. Robinie gilt in der Schweiz als invasive Art. Gibt es keine Gefahren bei der Förderung dieser Holzart?
Aufgrund der Eigenschaften und des Ausbreitungspotenzials ist Robinie auf Schweizer Ebene noch als invasive Baumart klassifiziert. In diesem Sinn bezüglich Biodiversität sind Kontrollmassnahmen, vor allem ausserhalb des Waldes und in Naturschutzgebieten, erforderlich. Ohne Bewirtschaftung und in dichten Beständen hat man innerhalb von einigen Jahrzehnten einen deutlichen Rückgang der Baumart beobachtet. Robinienholz wird im Tessin seit fast zwei Jahrhunderten für verschiedene Zwecke geschätzt, aber erst in den letzten Jahren hat es sich zu einem hochwertigen Bauholz entwickelt. Dazu gibt es auch interessante Auswirkungen auf andere lokale Produktionen wie z.B. Imkerei. Aus diesen Gründen wird Robinie im Tessin immer mehr als „Neophyt der zweiten Generation“ angesehen.

6. Der in Robinienholz gereifte Tessiner-Grappa sieht sehr interessant aus. Was denken Sie ist das wirtschaftliche Potenzial des Produktes?
Die Voraussetzungen für eine Wertholzproduktion im Tessin sind nur auf kleinen Flächen vorhanden. Wir schätzen eine Verfügbarkeit von wenigen hundert Kubikmetern von Robinienqualitätsholz pro Jahr. In diesem Sinn wäre die Herstellung von Fassdauben aus Robinienholz eine «Nische in der Nische». Trotz dieser Einschränkungen gibt es ein interessantes Potenzial. Holzfässer sollen jede 3-4 Jahre ersetzt werden und ein solches Sortiment könnte eine mässige aber wiederkehrende Nachfrage generieren. Dazu könnte auch eine Produktion von Fässern zur Reifung von Weisswein in Frage kommen. Und schliesslich ist Grappa ein typisches und anerkanntes Tessiner Produkt, welches durch die Förderung und Diversifikation der regionalen Wertschöpfungsketten von Laubholz und Destillaten weiter verwertet werden könnte.

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