Das SLF erforscht Permafrost und Schnee in Bhutan auf über 5000 Metern Höhe und entwickelt zusammen mit der lokalen Bevölkerung Massnahmen zur Reduktion von klimabedingten Risiken der Bergwelt. Der Schweizerische Nationalfonds fördert das Projekt Cryo-Spirit.
Fast zwei Jahre intensive Vorbereitung waren erforderlich. Jetzt ist es so weit: Am kommenden Samstag, den 14. September, wird Nadine Salzmann, Leiterin der Forschungseinheit Alpine Umwelt und Naturgefahren am SLF, nach Bhutan aufbrechen. In dem kleinen Königreich im Himalaya wird sie zahlreiche Experimente durchführen und Daten zur Kryosphäre (siehe Kasten) vor Ort sammeln, insbesondere zu Permafrost und Schnee. «Dabei verwenden wir Methoden, die wir zuvor in der Schweiz getestet haben und nun für die extremen Bedingungen dort bereit sind», sagt Salzmann.
Darüber hinaus verfolgt ihr Team einen genderspezifischen Ansatz in der Risikoanalyse. Dabei geht es unter anderem darum, wie die oft in der Landwirtschaft tätigen Frauen vor Ort mit Gefahren wie Hangrutschungen, verändertem Wasserangebot oder ausbrechenden Gletscherseen umgehen – und ob deren Sichtweise und Wissen über die Lage vor Ort Frühwarnsysteme verbessern kann. «Es gibt nicht viele Studien dazu, wir wollen das Thema voranbringen», erklärt Salzmann.
Was ist … die Kryosphäre?
Die Kryosphäre eines Planeten oder Mondes umfasst dessen Vorkommen von Wasser in fester Form, also Eis und Schnee. Dazu gehören unter anderem Gletscher, Meereis und Schneedecken, aber auch Schnee- und Eiskristalle in Wolken. Die Kryosphäre spielt eine entscheidende Rolle im Klimasystem und beeinflusst das Wetter, den Meeresspiegel und die globale Temperatur.
Ihre Arbeit ist Teil des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekts Cryo-Spirit. Bhutan und die Schweiz stehen in Zeiten des Klimawandels vor ähnlichen Herausforderungen. Die Zusammenarbeit ermöglicht, die Sensoren aus der Schweiz weiterzuentwickeln und so die Datenmenge für eine der global weit abgelegenen Hochgebirgsregionen zu steigern. Auf dieser Basis sollen Strategien entstehen, wie sich die Menschen in Bergregionen an den rasch voranschreitenden Klimawandel anpassen können. Ein wichtiges Ziel ist auch, Ausbildung und Forschung vor Ort zu verbessern und insbesondere junge Frauen in der Wissenschaft zu fördern.
Bis Salzmann loslegen kann, dauert es aber noch etwas. Allein drei Tage benötigt sie für die Anreise von Davos nach Lobesa. Dort steht das College of Natural Resources, die Fakultät für natürliche Rohstoffe der Königlichen Universität von Bhutan. «Vor der Feldarbeit werden wir hier noch einige Seminare für Masterstudierende abhalten zu Permafrost, Schnee, Gletscher im hochalpinen Raum und wie Klimaänderungen und Klimaextreme die Risiken im Hochgebirge und den tieferliegenden Regionen verändern», beschreibt sie das Programm in Lobesa.
Dann liegen sechs Tage Fussmarsch vor ihr und ihrem Team, zwei Forscherinnen des Schweizer Kooperationspartners Universität Freiburg, eine Kollegin von MeteoSchweiz sowie zwei Doktorandinnen aus Bhutan selbst. Das ist ungewöhnlich, denn der Anteil von Frauen an der Königlichen Universität, zumal auf Doktorandenstellen, ist niedrig.
Suche nach Risiken ¶
Am 24. September, nach circa 80 Kilometern Wegstrecke und mehr als 3000 Höhenmetern, wird die Gruppe ihre Forschungsfläche auf dem Thana-Gletscher oberhalb von 5000 Metern über dem Meeresspiegel erreichen. Schon auf dem Hinweg werden sie diverse Daten messen und unter anderem rund 30 Sensoren installieren, um die Temperatur des Permafrosts jeweils im Abstand von hundert Höhenmetern zu messen. «Zudem werden wir die einheimischen Wissenschafterinnen unterwegs einweisen, damit sie künftig selbständig Daten erheben sowie die Messgeräte installieren und warten können», erläutert Salzmann.
Darüber hinaus kartieren die Forscherinnen Landformen, die auf Permafrost hindeuten, wie Blockgletscher. Dazu gehören unter anderem Schutthänge, Gletschervorfelder und eisgefüllte Moränen. Das Team konzentriert sich dabei auf Stellen, die auf mögliche Risiken durch auftauenden Permafrost hinweisen. So können beispielsweise Seen hinter Moränenenwällen plötzlich ausbrechen und das darunter liegende Land überfluten. «Unser Ziel ist, die erste regionale Karte des potenziellen Permafrostvorkommens in Bhutan zu erstellen», sagt Salzmann.
Dialog mit Bevölkerung, Politik und Königshaus ¶
Auf dem Thana-Gletscher selbst wird das Team unter anderem ein Messinstrument installieren, um das Schneewasseräquivalent (SWE, siehe Kasten) kontinuierlich und taggenau zu bestimmen. Ausserdem ersetzt und ergänzt es mehrere bereits vor Ort vorhandene Instrumente. «Damit machen wir die wichtigste Forschungsfläche von Bhutans fit für Kryosphären-Messungen», freut sich Salzmann.
Danach macht sie sich auf den Rückweg durch das einzige klimaneutrale Land der Erde. Naturschutz und Glück der Bevölkerung sind hier wichtige Ziele der Politik, das Bruttonationalglück wichtiger als Wirtschaftswachstum und Bruttonationaleinkommen.
Bevor Salzmann am 12. Oktober in die Schweiz zurückkehrt, will sie noch die lokale Bevölkerung sowie Personen aus Politik und Königshaus für die Risiken in der Region sensibilisieren – und gemeinsam mit ihnen erörtern, wie sie damit umgehen können. «Unser Ziel ist, die Regierung bei diesem Projekt frühzeitig mit an Bord zu nehmen», sagt die Forscherin.
Was ist ... das Schneewasseräquivalent (SWE), und wie wird es gemessen?
Eine Schneedecke besteht aus zahlreichen Schichten mehr oder weniger stark zusammengepressten (dichten) Schnees. Das Schneewasseräquivalent gibt an, wie hoch eine Wasserschicht nach dem Schmelzen der Schneedecke wäre, angegeben in Millimeter. Jeder Millimeter entspricht einem Liter Wasser pro Quadratmeter Schneedecke. Ein Zentimeter Neuschnee mit einer typischen Dichte von hundert Kilogramm pro Kubikmeter ergibt einen Millimeter Wasser. Ein Beispiel: Mitte April 2024 betrug die mittlere Dichte der Schneedecke auf dem Versuchsfeld Weissfluhjoch 416 Kilogramm pro Kubikmeter, was bei einer Schneehöhe von 2,7 Metern einem Wasserwert von rund 1100 Millimetern beziehungsweise 1100 Liter Wasser pro Quadratmeter entspricht.
Das Schneewasseräquivalent misst man traditionell, indem man eine Schneesäule mit bekanntem Volumen wiegt. Das Messinstrument, das in Bhutan zum Einsatz kommt, basiert auf der Methode der kosmischen Strahlung. Dabei werden unter der Schneedecke Neutronen aus der natürlich vorkommenden kosmischen Strahlung detektiert. Deren Intensität hängt von der Schneemenge ab. So lässt sich das Schneewasseräquivalent kontinuierlich messen.
Copyright ¶
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