Fragen und Antworten zur Biodiversität in der Schweiz

Die Biodiversitäts-Initiative wirft Fragen auf: Wie geht es der biologischen Vielfalt in der Schweiz? Wo besteht Handlungsbedarf? Fachleute der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, einem Kompetenzzentrum für die terrestrische Biodiversität in der Schweiz, geben Antworten.

Aktualisiert am 6.8.2024

Inhalt

Das Wichtigste in Kürze:  

  • Die grössten Verluste erlitt die Schweizer Biodiversität ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1970er- und 1980er-Jahre. 
  • Die meisten systematischen Beobachtungsreihen zur Biodiversität begannen vor 20 bis 30 Jahren und somit auf historisch tiefem Niveau. In diesem Zeitraum gab es positive wie negative Entwicklungen bei verschiedenen Artengruppen und Lebensräumen.  
  • Eine Zunahme findet vor allem bei Generalisten statt, also Arten, die entweder konkurrenzfähig oder sehr flexibel sind, wenn sich der Lebensraum verändert. Spezialisten, die generell weniger flexibel auf Veränderungen und häufig auf ganz bestimmte Lebensräume angewiesen sind, gehen zurück.  
  • Um die Trendwende zu schaffen, braucht es zusätzliche, qualitativ hochstehende, längerfristig gesicherte Flächen. Auch müssen die Flächen besser vernetzt werden, damit ein Austausch zwischen Beständen stattfinden kann.  

Zustand der Biodiversität  

F: Wie steht es um die Schweizer Biodiversität, und wie entwickelt sie sich? 

A: Im Zuge der Industrialisierung und der Gewässerkorrekturen bis und mit den Boomjahren nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in allen Bereichen der Biodiversität starke Verluste. Seither sehen wir bei gewissen Artengruppen und Lebensräumen eine Stabilisierung oder Erholung.   

Daraus folgt: Schaut man sich die letzten 100 Jahre an, dann sind die Entwicklungen der Biodiversität bei allen Artengruppen negativ (ausser bei grossen Säugetieren wie z.B. Hirsch, Steinbock, Biber, oder Vogelarten wie Steinadler). Setzt man den Anfangspunkt dagegen am historischen Tiefpunkt an (in den 1970er- und 1980er-Jahren), zeigen die Beobachtungen ein besseres Bild.  

Wie die Entwicklung der Biodiversität bewertet wird, hängt somit sehr stark vom betrachten Zeitraum ab. Systematische Datenreihen für gewisse Organismengruppen oder Lebensräume bestehen vielfach erst seit rund 20 bis 30 Jahren.  

Die Biodiversität als Ganzes lässt sich nicht objektiv bilanzieren. Dazu ist das Wissen über die Zusammenhänge in der Natur zu beschränkt und das Konzept der Biodiversität zu umfassend, beinhaltet es doch die Vielfalt der Arten, der Gene und der Lebensräume. Gewisse Hauptlebensräume der Schweiz werden seit wenigen Jahrzehnten gezielt untersucht (z.B. Wald, Feuchtgebiete, Agrarland, Gewässer, alpine Stufe). Über deren Zustand lassen sich generelle Aussagen machen. Bei der Erforschung der Biodiversität im Boden stehen wir erst am Anfang.  

Die offizielle Sichtweise auf den Zustand der Biodiversität der Schweiz legt dieser BAFU-Bericht dar: Biodiversität in der Schweiz – Zustand und Entwicklung (2023)   

F: Welchen Arten / Artengruppen / Lebensräumen geht es besser, welchen schlechter, seitdem es systematische Beobachtungen gibt?

A: Zugenommen hat die Vielfalt gewisser Artengruppen im Wald, teilweise in den Gewässern und punktuell auch in Feuchtgebieten, etwa dort, wo neue Tümpel für Amphibien angelegt wurden. Grosse, ehemals verfolgte und in der Schweiz zum Teil lokal ausgerottete Arten (Luchs, Wolf, Steinadler, Bartgeier, Reiher, Huftiere, wie Rothirsche und Steinböcke, sowie Biber und Fischotter) sind in die Schweiz zurückgekehrt oder wurden wieder angesiedelt und manche haben überlebensfähige Bestände aufgebaut.   

Aufwärts ging es auch bei etlichen Vogelarten. Der Swiss Bird Index der regelmässig in der Schweiz brütenden Vogelarten, ein Indikator für den Zustand der Schweizer Vogelwelt, ist seit 1990 angestiegen. 

Der Trend für die im Biodiversitätsmonitoring Schweiz überwachten Tagfalterarten und im Wasser lebenden wirbellose Kleintiere (aquatische Makroinvertebraten), insbesondere wärmeliebende und pestizid-tolerante Arten, ist stabil bis zunehmend.

Generell schlechter geht es den Spezialisten, die ganz bestimmte Lebensbedingungen brauchen, um zu gedeihen. Dies gilt für Pflanzen wie Tiere, und betroffen sind vor allem solche Arten, die nährstoffarme Böden bevorzugen sowie Vögel, die am Boden brüten oder sich von Insekten ernähren. Ebenso scheinen kälteliebende Arten wegen der Klimaerwärmung zurückzugehen. Diese sind aus Naturschutzsicht wichtig, weil die Schweiz als Alpenland eine besonders grosse Zahl solcher Kältespezialisten beherbergt und damit eine grosse Verantwortung für sie trägt.

Bei den Pflanzen ist auffallend, dass die am stärksten gefährdeten Pflanzenarten die grössten Verluste aufweisen. Dies ist vor allem bedenklich, da viele gefährdete Arten an nur wenigen Orten vorkommen, und ein weiterer Rückgang an Populationen dazu führen könnte, dass ganze Arten aus der Schweiz verschwinden.

Generalisten wie Krähen oder Füchse, die sich an zahlreiche Lebensumstände anpassen können, breiten sich dagegen aus. Bei den Pflanzen sind es konkurrenzstarke Arten (z.B. Löwenzahn), die vom ausgebrachten Dünger und Eintrag von Nährstoffen aus der Luft profitieren.  

F: Was sind Entwicklungen mit negativen Auswirkungen auf die Biodiversität?  

A: Wir sehen z.B. bei vielen Mooren, in denen hoch spezialisierte Arten leben, weiterhin eine schleichende Austrocknung, etwa weil es alte Entwässerungen gibt. Die Landwirtschaft wird in immer höhere Lagen intensiviert, weshalb Vögel des Kulturlandes dort abnehmen. Die Wildbienen sind als Gruppe stark gefährdet durch Pestizide, fehlende Eiablageplätze und den Verlust von Futterpflanzen.  

Grossflächig auftretende Probleme, die zu einer Abnahme der Biodiversität führen, sind die Eutrophierung (Überdüngung), der Gebrauch von Herbiziden und Pestiziden und die Homogenisierung (Vereinheitlichung) der Landnutzung, z.B. durch Ansaat von artenarmen Kunstwiesen. Sie führen zu einer Vereinheitlichung der Umweltbedingungen und der Artenzusammensetzung – so kommen heute an vielen Standorten die immergleichen Arten vor. Dies zeigen die Ergebnisse des Biodiversitätsmonitorings der Schweiz.   

Einen Überblick gibt das Bundesamt für Umwelt hier: Biodiversität, das Wichtigste in Kürze

F: Warum ist es wichtig, die Biodiversität zu schützen?  

A: Eine möglichst intakte Biodiversität ist wichtig für uns Menschen. Nicht nur stellt sie eine immaterielle Bereicherung dar und fördert die menschliche Gesundheit und unser Wohlbefinden. Artenreiche Ökosysteme erbringen auch mehr Ökosystemleistungen, z.B. filtern artenreiche Pflanzengemeinschaften besser unser Trinkwasser, erhöhen die Bodenstabilität und verhindern so Erosion, und wirken dem massenhaften Auftreten von Pflanzenschädlingen, wie es oft in Monokulturen geschieht, entgegen.

Vielfältige Ökosysteme sind ausserdem widerstandsfähiger gegenüber Störungen wie Trockenheit und erholen sich schneller. Solche Störungen dürften in Zeiten des Klimawandels in Häufigkeit und Stärke zunehmen. Artenreiche Wälder helfen zudem die Klimaerwärmung zu reduzieren, denn sie fixieren deutlich mehr Kohlenstoff als artenarme Wälder.  

Ein enorm wichtiger Aspekt der biologischen Vielfalt ist ihre Pufferwirkung. Ein vielfältiges, artenreiches Ökosystem gleicht einem diversifizierten Aktien-Portfolio – fällt eine Art aus, ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass eine andere Art ihre Funktion übernehmen kann. Biodiversität ist also so etwas wie eine Versicherung. Verschwinden zu viele der Arten, die eine gewisse Funktion erfüllen, drohen Ausfälle der Ökosystemleistungen.   

F: Welchen Zustand müsste man bei der Biodiversität erreichen, damit die Leistungen der Ökosysteme erhalten bleiben?  

A: Das hat der Bundesrat 2012 in der Strategie Biodiversität Schweiz festgelegt, die das Ziel anstrebt, die biologische Vielfalt langfristig zu erhalten. Diese Strategie wird seit 2017 in einem Aktionsplan in Zusammenarbeit mit den Kantonen umgesetzt. Zur langfristigen Erhaltung der Biodiversität soll bis 2040 die Ökologische Infrastruktur (ÖI) der Schweiz errichtet werden: ein landesweites Netzwerk von Lebensräumen von ausreichender Qualität und Grösse. Derzeit sind die Kantone am Ausbau dieser Infrastruktur, die der wichtigste Ziel der Biodiversitätsstrategie ist. Sie betrifft alle Lebensraumtypen: Offenland, Landwirtschaftsland, Siedlungen, Wald, Gewässer und alpine Regionen umfasst – sie betrifft nicht nur die Bauern. Der Bund engagiert sich auch auf internationaler Ebene: Global sollen bis ins Jahr 2030 30 Prozent der Land- und Meeresflächen für die Biodiversität gesichert werden. (Quelle: Bundesamt für Umwelt BAFU)  

F: Wie sind die Resultate der Studie einzuschätzen, die der Biologe Marcel Züger im Auftrag des Bauernverbands erstellte?  

A: Die Auftragsstudie des Bauernverbandes stellt viele vorhandene Fakten zur Biodiversität in der Schweiz zusammen und analysiert v.a. die Entwicklungen in den letzten 30 Jahren. Sie interpretiert diese insbesondere für das Kulturland und basierend auf dem Konzept “Schützen durch Nutzen”. Sie findet positive wie auch negative Entwicklungen und stellt vor allem fest, dass die Biodiversitätsförderflächen mehr Qualität brauchen, um wirklich wirksam zu sein.  

Aus der Studie lassen sich aber keine Aussagen zur Gesamtbiodiversität der Schweiz ableiten. Es handelt sich nicht um eine durch andere Forschende kritisch begutachtete wissenschaftliche Arbeit (peer-review), sondern sie gibt eine Übersicht über ausgewählte Publikationen und Dokumente.

Die Trendwende ist nur in wenigen Lebensräumen und Artengruppen erreicht - gemäss der roten Liste der Lebensräume (InfoFlora 2016) ist z.B. die Hälfte der Lebensraumtypen gefährdet. Um die Trendwende zu schaffen, braucht es zusätzliche, qualitativ wertvolle und längerfristig gesicherte Flächen, etwa für Arten, die auf mehr natürliche Dynamik angewiesen sind oder als Rückzugsgebiete für kälteliebende Arten in Zeiten des Klimawandels. Auch eine bessere Vernetzung der Flächen ist nötig.

 

Massnahmen und deren Erfolg

F: Was wurde bereits für die Biodiversität gemacht? 

In den letzten 20 bis 30 Jahren sind zahlreiche Massnahmen ergriffen worden, darunter zum Beispiel:   

  • Einrichten von Schutzgebieten,

  • Moorrenaturierungen,   

  • die Einrichtung von Nährstoffpufferzonen um Gewässer und Schutzgebiete,   

  • Bewirtschaftungsverträge mit Landwirten in geschützten Lebensräumen,   

  • Biodiversitätsförderflächen im Landwirtschaftsland,   

  • Errichten von hunderten neuen Amphibientümpeln,   

  • Einrichtung verschiedener Waldreservate,   

  • Flussrevitalisierungen,   

  • Begrünung von öffentlichen Plätzen und Böschungen mit einheimischen Pflanzen,   

  • mehr Natur in urbanen Räumen,

  • Wildtierkorridore und Grünbrücken,

  • Gezielte Artenförderung (Aktionspläne) für gefährdete Arten, etc.

All diese Massnahmen haben positive Effekte auf die Biodiversität von Pflanzen und Tieren. Allerdings ist man oft auf tiefem Niveau gestartet (siehe erste Frage).   

Die Wirksamkeit der Massnahmen soll regelmässig überprüft werden. Die WSL überwacht beispielsweise mit der Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz die Entwicklung von Hoch- und Flachmooren, Trockenwiesen und -weiden, Auen und Amphibienlaichgebieten. Sie prüft, ob sich diese Lebensräume von nationaler Bedeutung gemäss ihren Schutzzielen entwickeln und in ihrer Qualität und Fläche erhalten bleiben. (biotopschutz.wsl.ch)  

F: Woran fehlt es noch? 

Es braucht mehr Massnahmen, die Spezialisten fördern (siehe: Artenförderung). Die Schweiz mit ihrer grossen Vielfalt an Lebensräumen – die im kleinräumigen Wechsel von Wald, Landwirtschaftsland, Gärten, Brachen, Bergen und Gewässern liegt – beherbergt viele solcher Spezialisten (z.B. Goldschrecke) und hat damit auch eine Verantwortung für deren Erhalt.  Zudem gibt es heute zahlreiche Subventionen, welche die Biodiversität direkt oder indirekt schädigen. Diese widersprechen der Schweizer Biodiversitätsstrategie sowie internationalen Verträgen, die die Schweiz unterzeichnet hat, und sollten deshalb abgeschafft, abgebaut oder umgestaltet werden. 

Ausserdem müssen die Lebensräume besser miteinander vernetzt werden, so dass Arten die Möglichkeit haben, sich genetisch auszutauschen, neue Flächen zu besiedeln und ihrem klimatischen Optimum hinterherzuwandern. Dies erfordert die Schaffung von Trittsteinlebensräumen, extensiv genutzten Korridoren, Landschaftsverbindungen etc. Die langfristige Erhaltung der Biodiversität benötigt daher mehr Fläche, und zwar solche von guter Qualität. Wieviel Fläche die verschiedenen Arten und Lebensräume benötigen, wurde kürzlich von Info-Species detailliert analysiert und modelliert (InfoSpecies).

F: Sind die Massnahmen der Initiative zielführend?  

A: Der Initiativtext legt keine konkreten Zahlen oder Massnahmen fest. Entscheidend ist bei einer Annahme deshalb, wie das Parlament die Initiative gesetzgeberisch umsetzt und wie die Regierung auf dem Verordnungsweg.

F: Was braucht es noch?  

A: Umsetzungspflichten für die gesetzlich vorgeschriebenen biodiversitätsfördernden Massnahmen und behördliche Kontrollen, ob und wie Massnahmen ergriffen wurden und Wirkung zeigen. Das Einrichten der Ökologischen Infrastruktur, des wichtigsten Ziels der Biodiversitätsstrategie der Schweiz, muss vorangetrieben werden. Biodiversität ist eine wichtige Lebensgrundlage und sollte eine zentrale Querschnittsaufgabe auf der politischen Agenda sein.

Was ist Biodiversität und warum ist sie wichtig?   

Biodiversität bedeutet «biologische Vielfalt» oder «Vielfalt des Lebens».  

Die Biodiversität lässt sich auf drei Ebenen beschreiben: die Vielfalt der Gene, die Vielfalt der Arten und die Vielfalt der Lebensräume. Diese drei Ebenen der Biodiversität sind eng und dynamisch miteinander verknüpft. Die Arten brauchen zum Überleben geeignete Lebensräume. Innerhalb der Arten ist eine ausreichende genetische Vielfalt unerlässlich. Die Vielfalt der Wechselbeziehungen innerhalb und zwischen den drei Ebenen wird auch als funktionale Biodiversität bezeichnet.  

Biodiversität ist nicht nur an sich erhaltenswert, sondern erbringt unverzichtbare Leistungen für Gesellschaft und Wirtschaft, sogenannte Ökosystemleistungen. Die Vielfalt dieser Leistungen ist immens: Unter anderem liefert Biodiversität Nahrung, beeinflusst das Klima, erhält die Wasser- und Luftqualität, ist Bestandteil der Bodenbildung und bietet nicht zuletzt dem Menschen Raum für Erholung. Aber die Qualität, Quantität und Vernetzung vieler Lebensräume reichen nicht aus, um die Biodiversität der Schweiz langfristig zu erhalten.   

Die Schweiz hat das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) am 21. November 1994 ratifiziert. Die Vertragsstaaten der CBD verpflichten sich, geeignete Massnahmen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Biodiversität zu ergreifen.  

(Quellen: Akademie der Naturwissenschaften SCNAT, Bundesamt für Umwelt BAFU)  

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