Genetische Methoden im Naturschutz

Genetische Methoden lassen sich heute im Naturschutz vorteilhaft einsetzen. Sie verraten zum Beispiel, woher sich seltene Kröten zum Stelldichein treffen und wie gut vernetzt scheinbar isolierte Vorkommen des Auerhuhns sind. Eine Tagung an der WSL zeigte, dass die Genetik wichtige Entscheidungsgrundlagen für den Schutz von Pflanzen- und Tierpopulationen bietet.

Die genetische Vielfalt ist einer der drei Pfeiler der Biodiversität – neben der Vielfalt von Arten und Lebensräumen. Nur wer diese Vielfalt kennt, kann wirkungsvolle Massnahmen zur Erhaltung der Biodiversität in die Wege leiten. Konrad Steffen, Direktor der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, geht an einer in Birmensdorf durchgeführten Fachtagung zu Fragen der Naturschutzgenetik noch einen Schritt weiter: "Diese junge genetische Forschungsdisziplin liefert Erkenntnisse, die bei Entscheiden im Naturschutz eine ausschlaggebende Rolle spielen."

Genetische Untersuchungen, die im Naturschutz zur Förderung und zum Schutz von Arten durchgeführt werden, sind heutzutage oft nicht teurer als andere Methoden, betont Rolf Holderegger, der an der Eidg. Forschungsanstalt WSL die Forschungseinheit Biodiversität und Naturschutzbiologie leitet. Oftmals seien diese Methoden sogar die einzigen, die angewendet werden könnten, beispielsweise um die Bewegung von Tieren in der Landschaft oder die Vernetzung von lokal begrenzten Vorkommen abzuschätzen. So wird in der Schweiz die Wanderung von Wölfen und anderen Tierarten anhand von genetischen Analysen aus Haaren, Kot oder Speichel nachgewiesen.

Genetische Methoden können vieles, aber nicht alles

Beim Aufbau der wieder angesiedelten Bartgeier-Populationen lässt sich mit genetischen Methoden auch der Grad der Inzucht gut feststellen. Ist der Inzuchtwert zu hoch, droht einer Population irgendwann das Aus. Darüber hinaus ist es in der Praxis wichtig zu wissen, dass Pflanzen- und Tierpopulationen nicht zu klein werden und genetisch vielfältig bleiben. Holderegger warnt allerdings vor zu viel Enthusiasmus: "Genetische Methoden sind zwar in der Naturschutzpraxis angekommen und können vieles besser als herkömmliche Methoden, doch sie können auch nicht alles". In der dicht besiedelten Schweiz stellt sich regelmässig die Frage, ob bestimmte Landschaftselemente wie zum Beispiel Strassen, Bahnlinien oder Flüsse für einzelne Tierarten Barrieren darstellen — ein Tummelfeld für naturschutzgenetische Untersuchungen. Janine Bolliger (WSL) stellte eine Studie vor, die genetische Daten von Kreuzkröten mit Wanderungsmustern von 50 mit Peilsendern ausgerüsteten Individuen verglich. Während diese telemetrischen Daten eher lokale Wanderbewegungen aufzeigten, wies die genetische Untersuchung nach, dass auch scheinbar isolierte Populationen mit entfernt lebenden Nachbarn im Austausch stehen und ihr Erbgut sich so durchmischen kann. "Verwandtschaftsbeziehungen sind ein gutes Mass für die räumliche Vernetzung von Populationen", fasst die Biologin zusammen. Auch beim Auerhuhn im Toggenburg (Kanton St. Gallen) stellten Forschende der WSL fest, dass lokale Populationen und somit auch ihre genetische Vielfalt grösser sind als erwartet; offenbar gelingt es dieser Tierart, sich über grössere Distanzen zu bewegen und fortzupflanzen, so dass sie ihre Gene austauscht.

Lücken bei der praktischen Anwendung

Den Sprung in die Praxis haben die noch neuen naturschutzgenetischen Methoden, die bislang vor allem von Forschungsinstitutionen angewendet wurden, noch nicht überall geschafft. Die Bedeutung neuer Methoden lasse sich nur an konkreten Fragestellungen im Gelände abschätzen, wobei die in vielen Kantonen regional verankerten Beratungsbüros einen Standortvorteil hätten, meint Conny Thiel-Egenter von der FORNAT AG. Darum biete sich eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis an. Thiel-Egenter führt als Beispiel den Frauenschuh an, zu dessen Förderung es im Kanton Aargau einen Aktionsplan gibt. Die Fundorte der 18 stark voneinander getrennten Populationen dieser gefährdeten Orchideenart sollen aufgewertet und neue Populationen zwischen bestehenden Vorkommen gegründet werden, so dass der genetische Austausch auf natürliche Weise möglich ist. Ein ähnliches Projekt zu kleinen Populationen gibt es auch beim Lungenenzian-Ameisenbläuling, einer seltenen Schmetterlingsart, die in Flachmooren und somit einem ebenso gefährdeten Lebensraum vorkommt.

Da die Naturschutzgenetik erst seit kurzem Anwendung in der Praxis fände, so Thiel-Egenter, gäbe es noch zu wenig Erfolgsgeschichten, und der Mehrheit der Naturschutzbehörden fehlte deshalb noch das Vertrauen in genetische Methoden. "Auch im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen sind genetische Methoden nicht etabliert, obwohl sie sehr wirksam und darum wichtig wären", sagt die Biologin.

Genetik als Grundlage für Wirkungsanalysen im Naturschutz

Der an der Fachtagung vorgestellte Kenntnisstand in der noch jungen Naturschutzgenetik lässt sich nur als Zwischenhalt in einer schnell verlaufenden Entwicklung bezeichnen. Gemäss Tagungsleiter Felix Gugerli ist es beeindruckend, dass es nach wenigen Anwendungsjahren bereits heute möglich ist, genetische Abklärungen für Naturschutzprojekte konkret zu nutzen oder bei bereits realisierten Massnahmen den Erfolg genetisch zu beurteilen. "Der Fächer der möglichen Anwendungen öffnet sich zunehmend", sagte Gugerli. So sei es beispielsweise in einer Zeit des Klimawandels für die Naturschutzbiologie besonders wichtig, bei gefährdeten Pflanzen- und Tierarten auch das Potenzial zur Anpassung an veränderte Umweltverhältnisse in Betracht zu ziehen.

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