24.11.2021 | Roman Oester | News SLF
Auf dem Dürrboden in Davos werden dieser Tage wiederum temporär Messgeräte für den Winter installiert. Sie dienen dazu, automatisch Lawinen zu detektieren und sollen in Zukunft zur Verbesserung des Lawinenbulletins beitragen.
Neben der aktuellen Schnee- und Wettersituation fliessen auch Informationen über die Lawinenaktivität in die Beurteilung der Lawinengefahr ein. Daten dazu sind besonders relevant, aber nur ein Bruchteil aller abgegangenen Lawinen ist dem Lawinenwarndienst bekannt. Diese Lücke wollen Forschende des SLF mit Messsystemen zur automatischen Erkennung von Lawinen schliessen. Aktuell sind diese aufgrund ihrer hohen Kosten noch nicht weit verbreitet. Darum ist es das Ziel, zusammen mit Partnerfirmen ein kostengünstiges und zuverlässiges Überwachungssystem zu entwickeln, das an zahlreichen Orten eingesetzt werden kann. Es soll die bereits bestehenden, wertvollen Beobachtungen durch Personen ergänzen. Denn das Wissen, wann und wo Lawinen niedergehen, ist von zentraler Bedeutung.
Lawinen durch Schall und Bodenbewegungen erkennen ¶
Ein entsprechendes Testsystem wird seit einigen Jahren jeden Herbst auf dem Dürrboden im Dischmatal aufgebaut und nach der Schneeschmelze im Frühjahr wieder demontiert. Dieses besteht aus je fünf Infraschallsensoren und Seismometern, die im Boden vergraben werden. Sichtbar davon sind jedoch nur ein Mast mit einem Solarpanel zur Stromversorgung sowie Kameras, die kontinuierlich die umliegenden Berghänge fotografieren. Wenn sich eine Lawine in Bewegung setzt, erzeugt sie Erschütterungen im Untergrund, die von den Seismometern gemessen werden – solche Sensoren werden auch zur Registrierung und Lokalisierung von Erdbeben verwendet. Weiterhin generieren Lawinen als Infraschall bekannte akustische Signale im Niederfrequenzbereich, welche von speziellen Mikrofonen aufgenommen werden. Allerdings registrieren die Sensoren auch viele andere Signale, die nichts mit Lawinen zu tun haben. Mit Hilfe von Algorithmen werden die Lawinensignale herausgefiltert, und zwar möglichst schnell und automatisch, sodass die Information über einen Lawinenabgang in Echtzeit verfügbar wird. Abhängig von ihrer Grösse können Lawinen von den Sensoren in einer Entfernung von mehreren Kilometern erfasst werden, sie müssen die Sensoren nicht einmal überfliessen. Ausserdem ist es aufgrund der Anordnung der Sensoren möglich, die Lawinenabgänge zu lokalisieren.
Forschung bis zur Marktreife ¶
Die von den Kameras aufgenommenen Bilder erlauben es den Forschenden zu vergleichen, ob die Systeme wirklich eine Lawine aufgezeichnet haben oder nicht. Bei der Platzierung der Sensoren ist es wichtig, mögliche Störsignale so gut es geht zu eliminieren. Eine gewisse Entfernung etwa zu einem Bach oder einer Strasse ist daher vorteilhaft. Der Dürrboden im Dischmatal ist sehr geeignet als Teststandort, da er die perfekten Voraussetzungen – also geringe Störsingale bedingt durch wenig Verkehr und Personen, eine gute Zugänglichkeit und viele Lawinen – aufweist. Bis das neue Überwachungssystem operativ eingesetzt werden kann, sind noch einige Arbeiten nötig. Aktuell beschäftigt man sich mit der Verfeinerung des Systems und des Algorithmus, damit die Zuverlässigkeit erhöht wird. Dabei sollen bei der Auswertung erstmals die Daten der Seismik- und Infrasoundmessungen kombiniert werden. Drohnen unterstützen die Forschenden zusätzlich, die Schneehöhe zu messen und Lawinenniedergänge aufzunehmen. Geplant ist, dass das Überwachungssystem in etwa drei Jahren marktreif ist.
Grosser Nutzen für die Öffentlichkeit ¶
Stehen also in Zukunft diese zusätzlichen Informationen über aktuelle Lawinenabgänge zur Verfügung, kann der Lawinenwarndienst des SLF die Gefahr besser einschätzen. Dies ist dann nicht nur für Wintersportlerinnen und -sportler hilfreich, sondern dient auch allgemein der Bevölkerung in Bergregionen: Lawinendienste von Gemeinden sollen im Bedarfsfall eine bessere Datengrundlage zur Hand haben, um Entscheidungen etwa für die Sperrung von Strassen und später deren Öffnung zu treffen.
Dieser Artikel erschien am 23. November 2021 in einer gekürzten Version in der Davoser Zeitung.
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