10.09.2020 | Beate Kittl | News WSL
Wenn Wölfe Huftiere fressen, bleibt ausser Knochen, Haut und Mageninhalt wenig übrig. Darunter gedeiht jedoch eine überraschend artspezifische Mikrobengemeinschaft, zeigt eine von der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL geleitete Studie. Bedeutsam ist das nicht nur für das Verständnis der Wechselwirkungen im Ökosystem, sondern möglicherweise auch für Kriminalisten.
Wenn ein Tier stirbt, dann setzt sich eine Kettenreaktion von Verwesungsprozessen in Gang. Bisher ging man davon aus, dass diese nach einem weitgehend festen und damit vorhersagbaren Schema abläuft. Die Gerichtsmedizin jedenfalls verlässt sich darauf, dass die auf (oder unter) einer Leiche vorhandenen Organismen Hinweise auf die Todesumstände liefern.
Doch von Wölfen gerissene Huftier-Leichen halten sich nicht an einfache Regeln, zeigt nun eine einzigartige Studie von WSL-Forschenden an Wolfsrissen auf. Das Team von Anita Risch, Leiterin der Gruppe Tier-Pflanzen Interaktionen, hat zusammen mit Partnern der Universität Minnesota, im Yellowstone Nationalpark in den USA den Boden unter Kadavern untersucht.
So gedeihen unter einem Bisonriss ganz andere Bakterien und Pilze als unter einem Wapitiriss, ergab die in der Fachzeitschrift Functional Ecology veröffentlichte Arbeit. Die mikrobielle Vielfalt unter den Rissen ist zwar geringer als im Boden neben Rissen, da wenige, auf Kadaver spezialisierte Arten dominieren und andere Mikroben verdrängen.
Seltene Nährstoffe unter Kadavern ¶
Unter Kadavern fanden sich jedoch hohe Konzentrationen von sonst seltenen Nährstoffen. Diese fördern den Wuchs von Pflanzen, die deutlich nährstoffreicher sind als diejenigen neben Rissen. Solche Pflanzen sind wiederum attraktiv für Pflanzenfresser, die von der hochwertigen Nahrung angezogen werden. «So entsteht in der Landschaft ein Mosaik von Hotspots mit überdurchschnittlich gutem Nahrungsangebot», sagt Risch.
Veränderungen der Mikrobengemeinschaften über die Zeit liessen sich nicht messen, denn aus Sicherheitsgründen konnten die Forschenden nur Kadaver besuchen, die älter als 40 Tage waren. Davor wäre das Risiko zu gross gewesen, an den Kadavern auf Grizzlybären zu stossen.
Dies ist gemäss Risch die erste grossangelegte Studie in freier Wildbahn zur Frage, wie Mikrobengemeinschaften unter Kadavern zusammengesetzt sind. „Die toten Tiere sind so etwas wie Inseln in der Landschaft, auf denen sich Nährstoffe konzentrieren und sich die Artenvielfalt im Boden verändert“, sagt Risch, die mit ihrem Mitautor Joseph Bump von der University of Minnesota insgesamt 19 Wolfsrisse im Nationalpark untersucht hat.
Der Yellowstone Nationalpark bietet eine einmalige Gelegenheit für die Untersuchung von Kadavern in einer natürlichen Umgebung: Die fünf Wolfsrudel in der "Northern Range" mit etwa 33 Individuen sind mit Satellitensendern ausgerüstet und die Lage ihrer Risse ist somit bekannt. Wapitis und Bisons sind zudem so gross, dass für die Forschenden genügend Knochen, Mageninhalt und Haare liegen bleiben, um die Überreste auch noch 40 Tage nach dem Riss zu finden.
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