30.07.2024 | Jochen Bettzieche | SLF News
Das SLF hat diesen Winter ein neues System getestet, um die Gefährdung von Verkehrswegen durch Lawinen besser einzuschätzen. Die Ergebnisse sind vielversprechend und sollen in Zukunft bei angespannten Lagen kürzere Sperrzeiten von Strassen und Bahnlinien erlauben.
Früher Morgen Anfang April in Davos: Pia Ruttner-Jansen schwingt die Skipiste am Brämabüel runter – dann biegt sie unvermittelt nach rechts ins freie Gelände ab. Aber nicht für eine Abfahrt im feinsten Pulver, denn die Geomatikerin ist nicht zum Vergnügen hier. Die Forscherin am SLF ist auf dem Weg zu ihren Messstationen. Ziel ist, die Sicherheit auf Bergstrassen, Bahnlinien und Skipisten im Winter zu erhöhen. Zwei Laserscanner hat Ruttner-Jansen mit ihren Kolleginnen und Kollegen am 23. November 2023 am Brämabüel installiert, abseits der nördlichsten Piste des Jakobshorn-Skigebiets in Davos, einen auf 2255, einen auf 2191 Meter über dem Meeresspiegel. Mit ihnen hat sie den Winter über einen Lawinenhang beobachtet.
Funktioniert das System, sollen seine Ergebnisse künftig als Entscheidungshilfe dienen. Denn bislang liegen nur punktuell Daten vor, auf deren Basis die Verantwortlichen entscheiden, ob sie einen Verkehrsweg sperren, erklärt Ruttner-Jansen: «Der Entscheid basiert meist auf Wetter- und Schneedaten, dem Lawinenbulletin und lokalen Beobachtungen und Geländekenntnissen, kombiniert mit der persönlichen Erfahrung der Beteiligten.» Ihr Projekt soll mit Daten direkt aus potenziellen Anrissgebieten eine bessere Grundlage liefern.
Auf diese Lawine ist Verlass ¶
Im Winter ist sie mehrmals zur oberen Messstation aufgebrochen, um nach ihr zu sehen und in der Nähe Schneeprofile zu erstellen. «An die untere Station komme ich nicht ran, der Weg führt durch den 30 bis 45 Grad steilen Lawinenhang, den wir vermessen, das ist zu gefährlich», sagt Ruttner-Jansen. Denn auf die Wildi-Lawine, benannt nach dem gleichnamigen Hof, neben dem die Lawine vorbeirauscht, ist Verlass. «Diese Lawine kommt eigentlich jedes Jahr mehrmals», sagt Ruttner-Jansen. In der Vergangenheit musste die Strasse ins Dischmatal immer mal wieder gesperrt werden. Das schränkt in diesem Fall vergleichsweise wenige Menschen ein, denn das Tal ist nur schwach besiedelt. Anders ist das, wenn Zufahrtswege zu grossen Wintersportorten gesperrt sind. So war beispielsweise Zermatt 2018 eine Woche von der Aussenwelt abgeschnitten, mit negativen Folgen für Touristen, Gastronomie und Hoteliers. Der gesamte Schaden überstieg laut Ruttner-Jansen die Millionengrenze.
Was ist … das Anrissgebiet einer Lawine?
Das Anrissgebiet einer Lawine ist das Gebiet, in dem sich die Schneemassen lösen und in Bewegung geraten. Es liegt immer in steilem Gelände mit einer Hangneigung von mindestens 30 Grad.
Mit ihren Messstationen hat sie im Blick, wie die Schneehöhen im Anrissgebiet (siehe Kasten) der Lawine verteilt sind. Eigentlich geht das auch mit Hilfe von Luftaufnahmen aus dem Flugzeug oder mit einer Drohne. «Aber wir haben eine höhere zeitliche Auflösung», nennt die Wissenschafterin Vorteile ihrer Methode. Denn sie misst stündlich, und ihre Ergebnisse sind oft auf den Dezimeter genau, manchmal noch besser. Weiterer Pluspunkt sind die niedrigen Kosten. Rund 30’000 Schweizer Franken kosten die beiden Stationen zusammen inklusive Helikoptertransport und Windrad. Das liegt auch an den LiDAR-Geräten (siehe Kasten), die Ruttner-Jansen verwendet. Diese sind mittlerweile Standard für Fahrerassistenzsysteme in der Automobilindustrie und daher nicht mehr teuer. Die Forscherin vergleicht: «Grosse Laserscanner kosten meist über hunderttausend Schweizer Franken.»
Was ist … LiDAR?
Die Abkürzung steht für Light detecting and ranging, auf Deutsch Lichterkennung und Entfernungsmessung. LiDAR-Geräte senden Laserimpulse aus und messen die Distanz zu Objekten und die von ihnen zurückgestrahlte Intensität des Lichtstrahls. Damit können Anwender verschiedene Parameter bestimmen wie die Geschwindigkeiten von Objekten, aber auch die Konzentration verschiedener Gase in der Atmosphäre.
Am Ende der Saison 2023/24 hat sie bereits erste Ergebnisse zusammengefasst. «Es zeigt sich schon jetzt das hohe Potenzial des Systems», sagt Ruttner-Jansen. Auch wenn gegen Ende des Winters nur noch eine Messanlage stand. Die zweite, tiefer gelegene hat eine grosse Gleitschneelawine aus dem Wildi-Anrissgebiet am 14. April umgerissen. Dieses Risiko hatten die Forschenden bewusst in Kauf genommen, um wertvolle Informationen aus dem Anrissgebiet der Lawine zu bekommen. Bis nächsten Herbst soll sie wieder stehen, dann besser geschützt.
Zusätzlich will Ruttner-Jansen in der kommenden Saison 2024/25 ihre Resultate erweitern und plant zusätzliche Messstationen an einem zweiten Ort: «Ein Südhang zum Vergleich wäre ideal.»
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