25.01.2017 | News
In der Schweiz haben Naturgefahrereignisse seit 1946 mehr als tausend Menschenleben gekostet. WSL-Forschende haben nun diese Todesfälle in einer Datenbank erfasst, um die Entwicklung der Opferzahlen zu analysieren.
„Unser Ziel war es, eine Datenbank zu erstellen, die 70 Jahre zurückreicht und alle Todesopfer durch Hochwasser, Erdrutsche, Murgänge, Steinschläge, Sturm und Lawinen enthält“, erklärt Alexandre Badoux, Erdwissenschaftler an der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL und Erstautor der Studie. Dabei ging es nur um Unglücksfälle, die den Bevölkerungsschutz in Siedlungsräumen und auf Verkehrswegen betrafen. Dies ermöglicht es erstmals zu ermitteln und zu vergleichen, wann und wo die Todesfälle geschahen und welche Naturgefahren am meisten Todesopfer forderten.
Zeitungsarchiv durchforstet
Um die Opferzahlen der Vergangenheit zu eruieren, durchsuchten die Forschenden das digitale Archiv der Neuen Zürcher Zeitung NZZ nach entsprechenden Stichwörtern. „Wir entschieden uns für die NZZ, weil sie umfangreich und vertrauenswürdig ist. Ausserdem decken die Meldungen der Zeitung die gesamte Schweiz ab“, sagt Badoux. In die Studie flossen auch die Opferzahlen aus der Schadenlawinendatenbank ein, die das WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF seit Winter 1936/37 führt, sowie jene aus der vom Bundesamt für Umwelt BAFU mitfinanzierten Unwetterschadens-Datenbank, die die WSL seit 1972 betreibt. Anders als diese umfasst die neue Datenbank auch Blitzschlag- und Sturmopfer.
Da die Studie auf einen verbesserten Bevölkerungsschutz hinzielt, schliesst sie jene Opfer aus, die während Freizeitaktivitäten in ungesichertem Gelände ums Leben kamen – beispielsweise Variantenfahrer und Skitourengänger. Eine Herausforderung: „Diese Lawinenunglücke sind heute etwa dreissig Mal häufiger als Lawinenunglücke, die Strassen und Dörfer tangieren“, sagt Frank Techel, Lawinenprognostiker am SLF und Mitautor der Studie. Ausserdem sterben viele Bergsteiger und Kletterer abseits gesicherter Wege durch Blitz- und Steinschläge. Dies belegen Zahlen des Schweizerischen Alpenclubs SAC.
Lawinen und Blitzschläge
Die Recherchen ergaben, dass in der untersuchten Periode insgesamt 1023 Personen in 635 Naturereignissen getötet wurden. Mehr als ein Drittel aller Todesfälle geschahen durch Lawinenunglücke; Blitzschläge forderten als zweithäufigste Todesursache 164 Opfer. Bei diesen beiden Naturereignissen gab es in den letzten 70 Jahren einen klaren Rückgang der Todesfälle, was auch die generelle Abnahme der Opferzahlen erklärt. Dazu trägt vor allem die intensive Lawinenforschung bei, durch welche die Lawinenvorhersage stark verbessert wurde. Auch der Ausbau von Schutzbauten sowie verbesserte Gefahrenkarten brachten Fortschritte. Die Zahl der Unglücksfälle durch Murgänge, Erdrutsche, Hochwasser, Steinschläge und Stürme blieb ungefähr stabil.
Im weltweiten Vergleich liegt die Schweiz bei den Todesfällen durch Naturgefahren unter dem Durchschnitt. „Trotzdem könnte die Schweizer Bevölkerung noch gezielter vor allem für Hochwasser sensibilisiert werden, damit in Zukunft noch mehr Menschenleben gerettet werden können“, meint die Geografin Norina Andres, Mitautorin der Studie.
Grosse Katastrophen selten
In der Schweiz kam es in den letzten tausend Jahren immer wieder zu grossen Naturkatastrophen mit Hunderten von Toten, beispielsweise beim Erdbeben in Basel im Jahr 1356 oder beim Bergsturz in Goldau im Jahr 1806. Davon blieb die Schweiz in den letzten 70 Jahren verschont. Das grösste Unglück geschah im Jahr 1965: 88 Menschen wurden beim Bau des Mattmark-Staudamms im Wallis bei einem Eislawinenabbruch getötet. Die Lawinenniedergänge in Reckingen (VS) im Winter 1970 forderten 30 Todesopfer, jene im Januar 1951 in Vals (GR) 19 Todesopfer.
„Im Vergleich zu anderen tödlichen Unfallursachen machen Naturkatastrophen in der Schweiz jedoch einen geringen Anteil aus“, betont Badoux. Zwischen 1946 - 2015 starben sechzig Mal mehr Menschen bei Strassenverkehrsunfällen und etwa fünf Mal mehr bei Zugunglücken als infolge von Naturgefahrereignissen.