Das Bildarchiv des SLF wird digitalisiert. Dabei stossen Archivarinnen und Archivare auf spannende, historische Aufnahmen aus den ersten Jahrzehnten der Institutsgeschichte – und der Zeit davor.
Thomas Reich zieht sich Handschuhe aus Baumwolle über. Vorsichtig greift der Mitarbeiter im WSL-Archiv eine Glasplatte. Darauf: Ein Negativ aus dem Jahr 1913, das Studierende von der Universität Tübingen sowie Professoren vor einem Gebäude zeigt. Reich reinigt die Platte sorgfältig, fotografiert das Negativ und bearbeitet das Bild nach. Für diese Arbeit hat die WSL eigens ihren Luftschutzraum in ein kleines Fotostudio umfunktioniert.
Denn das Bild ist eines von tausenden. Im Januar haben Reich und seine Kollegin Zeljka Vulovic kistenweise Material aus den Räumen des SLF in Davos geholt und an ihre Arbeitsstätte an der WSL gebracht. Sie wollen die historischen Aufnahmen digitalisieren und für die Nachwelt erhalten.
«Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit», sagt Vulovic. Denn ein Negativ hat eine Lebenserwartung von rund siebzig Jahren, und viele sind bereits älter. Zumal die beiden Institute nicht über optimal kühle und trockene Lagerräume verfügen. «Damit könnten wir den Zerfall verlangsamen, aber so droht schon bald ein Wissensverlust», mahnt Vulovic.
Wie bei den übel riechenden Kisten, auf die sie im Keller der WSL in Birmensdorf gestossen waren. Darin fanden sie Luftaufnahmen von Gletschern aus den späten 1950er Jahren, bei denen der Prozess der Zersetzung schon begonnen hatte. Um zu retten, was zu retten ist, gingen diese Aufnahmen an die Glaziologen und das Bildarchiv der ETH Zürich.
Von Davos nach Birmensdorf sind vorerst zwei Sammlungen gewandert. Zum einen die erste Sammlung des SLF mit Bildern aus den 1930er Jahren bis in die 1950er, darunter zahlreiche Aufnahmen aus der Zeit vor 1942, dem Gründungsjahr des Instituts. «Die Sammlung ist im Laufe der Jahrzehnte echt durcheinandergebracht worden», klagt Vulovic. Auf tausenden Karteikarten steht, was auf den Bildern zu sehen ist. Die dazugehörigen Originalbilder zu finden, erfordert akribische Detailarbeit. Manche liegen verstreut in Schachteln, andere passen nicht zur Beschreibung auf der Karte. Die Motive reichen von wichtigen Personen über die Arbeit im Institut und im Feld bis hin zu Lawinenabgängen. Vulovic und zwei studentische Hilfskräfte kontrollieren Karte für Karte und Bild für Bild, was zusammengehört, ob die Beschriftungen korrekt sind und erfassen sie in einem Register. «Wir schaffen so dreissig bis fünfzig Karten am Tag», sagt Vulovic. Ein externes Unternehmen digitalisiert die Aufnahmen.
Der zweite Teil der SLF-Sammlung stammt von Ernst Eugster, einem Pionier von Schneestudien im Oberwallis und in Graubünden, der bereits in den 1930er Jahren seine Arbeit fotografisch dokumentiert hat. Mehr als tausend Bilder von Lawinenverbauungen, Schnee auf Gebäuden, Schnee auf Bäumen, Schnee als Lawine, Menschen im Schnee und in den Bergen hat er dem SLF vermacht. Kulturhistorikerinnen und -historiker können die Aufnahmen für ihre Arbeit nutzen, da sie nicht nur Landschaft, sondern auch Menschen bei der Arbeit und in der damals üblichen Kleidung zeigen, beispielsweise einen Mann auf Skiern mit Schirmmütze und Kravatte. Auf der Rückseite der Bilder hat Eugster jeweils notiert, was darauf zu sehen ist. «Aber seine Handschrift ist nicht einfach zu lesen», sagt Vulovic. Oft müsse das Team recherchieren, was er gemeint hat.
Und diese beiden Sammlungen sind erst der Anfang. Im Keller des SLF ruhen noch weitere Bestände, sowohl Fotografien als auch Filme. Vulovic geht von mehr als hunderttausend Bildern aus. Sie und ihre Helferinnen und Helfer werden diese Sammlungen aufarbeiten. Ziel ist, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die lernt dann unter anderem, dass Menschen sich auch vor bald hundert Jahren bei Bergtouren zwar angeseilt haben – aber nicht in Funktionskleidung, sondern mit Anzug und Hut.
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