Schottland - Lawinenwarner im Austausch

29.02.2016  |  News

Schottland, Lawinenwarnung? Das bringen wohl die wenigsten sofort in Verbindung, ist doch der höchste Berg Schottlands, der Ben Nevis gerade mal 1344 m hoch. Gibt es da Schnee? Gibt es da Lawinen? Wer aufmerksam das Satellitenbild über Europa verfolgt, hat wohl schon bemerkt, dass es über Schottland weder an Niederschlag noch an Wind mangelt. Aber wie ist die Temperatur auf dieser Meereshöhe? In den tiefen Lagen fällt der meiste Niederschlag als Regen. Auf den Gipfeln schneit es aber im Winter oft. Somit sind alle Zutaten für Lawinen da. Und Wintersportler, die von Lawinen gefährdet sind, fehlen auch nicht: Sie sind meistens mit Eispickeln bewaffnet bei jedem Wetter zu Hunderten unterwegs.

Was bringt ein Austausch von Lawinenwarnern?

Was macht aber nun ein Schweizer Lawinenprognostiker in Schottland? Haben wir hier nicht genug Berge, um die hohe Kunst des Schneeprofils, der Wetteranalyse und der Einschätzung der Lawinengefahr zu erlernen? Dies gewiss. Ein Austausch unter Lawinenwarnern ist aber trotzdem wertvoll, wie ein Vergleich zwischen Schottland und der Schweiz zeigt. In Schottland herrscht ein maritimes Klima, lang andauernde Schwachschichten sind selten, die Lawinensituation kann sich aber innerhalb von Stunden dramatisch ändern. Die Leute bewegen sich meist in extrem steilem Gelände, und somit sterben die meisten Lawinenopfer an den Verletzungen des Absturzes. Siedlungen oder Verkehrswege sind kaum gefährdet. In der Schweiz hingegen können ausgeprägte Schwachschichten in der Schneedecke lange Perioden eines Winters dominieren. Lawinenopfer sterben meistens durch Ersticken infolge der Verschüttung, und der Lawinentod kann Wintersportler in verschiedenstem Gelände ereilen. Bei Grossschneefällen müssen Strassen geschlossen oder Siedlungsteile evakuiert werden. Enorme Kontraste. Und trotzdem, beide Länder wollen Touristen vor der Lawinengefahr mit fundierten Informationen warnen. Dies in einer für alle Wintersportler verständlichen Sprache und in einer für die Öffentlichkeit vergleichbaren Skala - der europaweit vereinheitlichten Lawinengefahrenskala - zu tun, ist zwar schwierig, aber wichtig, denn der heutige Bergsportler macht seine Touren nicht mehr nur in „seinem“ Tal. Er geht im Winter Freeriden in St. Anton, auf einige Wochenendtouren in den Hausbergen, fünf Tage Eisklettern am Ben Nevis und im April noch eine Woche auf die Lofoten zum Touren. Der Austausch von Lawinenwarnern und das gegenseitige Kennenlernen gebietsspezifischer Herausforderungen tragen dazu bei, die Europäische Lawinengefahrenskala noch einheitlicher anzuwenden.

Der Austausch von Lawinenwarnern schafft aber auch auf anderen Ebenen einen wertvollen Wissenstransfer. So kann der Schotte in der Schweiz ausgereifte Techniken zum Beurteilen von Schwachschichten kennenlernen, während der Schweizer in Schottland den Umgang mit sehr schnellen Wetterwechseln übt. Oder die Norweger profitieren von unserer Lawinenwarnung und unseren Erfahrungen, bringen dann aber wieder wertvolle Inputs zurück, weil sie als junger Warndienst völlig unbelastet an das Thema herangehen und neue Ideen einbringen.

Was lernen wir in der Schweiz von der Lawinenwarnung in Schottland?

Genau das fragte ich mich natürlich auch, als ich mich auf den Weg in das schottische Hochland nach Aviemore zu Mark Diggins, dem Leiter des Schottischen Lawinendienstes machte. Schlechtes Wetter, viel Wind und Regen hatte ich erwartet. Als wir aber mit der Bahn – die übrigens abgesehen von der Farbe aussieht wie die Parsennbahn – in die Cairngorm Mountains hoch fuhren, war es oben auf dem Cairngorm Gipfel auf 1245 m überraschend windstill, dafür aber kalt. Die Skis liessen wir unten, dies aus gutem Grund: Es gab zu wenig Schnee zum Skitouren. Wir kraxelten über den Gipfel zu einem Osthang im Windschatten des Plateaus. Während des Laufens erzählte Mark, dass ihn dort schon einmal vor den Nasen seiner Studenten der Wind wegwehte und er über eine Felsklippe davonflog. 20 m tiefer konnte er sich am Fels festkrallen und wartete auf Rettung. Auf unserer Tour kamen wir an einen Profilort, wo mehr als genug Schnee für ein Profil lag – über 3 m, die unteren 2,5 davon hart und fest. Oben drin fand sich tatsächlich eine eingeschneite Schwachschicht mit Graupel. Gefahrenzeichen für Lawinen gab es allerdings keine.

Wir wanderten weiter und kamen zu einem Geländekessel, wo Felswände und Couloirs das Gelände beherrschen. Und noch etwas: Unzählige Leute, Kletterer, Skifahrer und Wanderer. Ich war erstaunt, wer da alles unterwegs war! Dachte ich bisher noch nicht im Entferntesten an ein Lawinenrisiko, wurde mir schlagartig klar, dass es hier eine Lawinenwarnung braucht. Für die Beurteilung des Lawinenrisikos ist hier massgebend, ob Personen Lawinen auslösen können oder nicht. Die Lawinengrösse spielt kaum eine Rolle, weil Lawinen – egal welcher Grösse – fast immer ernsthafte Konsequenzen haben. Denn das Gelände ist entweder flach oder extrem steil, es gibt kaum Steilhänge. Diese schottischen Begebenheiten mit der Europäischen Lawinengefahrenskala zu beschreiben ist enorm schwierig.

Nun, etwas anderes habe ich in Schottland auch gelernt: Die Schotten bringt nichts, aber auch gar nichts aus der Ruhe, weder ein rechtsfahrender Mitteleuropäer in seinem Mietauto, noch 70 mph Wind (entspricht 110 km/h; dafür braucht es dann den Eispickel, um sich am Boden festzukrallen), geschweige denn eine Europäische Lawinengefahrenskala. Um die oben genannten speziellen Gegebenheiten mit der Europäischen Lawinengefahrenskala zu beschreiben, behelfen sich die Schotten mit dem Begriff der lokalen Gefahr (localised danger). Diese Gefahrenbeschreibung haben sie sogar in die Gefahrenplots integriert (vgl. Abbildung 3). Wer die Schottischen Berge nicht kennt, mag das für eine seltsame Lösung halten. Wer hier war, kann nur zu gut verstehen, dass diese Lösung sinnvoll ist. In diesem Sinne fördert ein Austausch unter Lawinenwarnern nicht nur den Wissenstransfer, sondern auch das gegenseitiges Verständnis.

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