14.05.2021 | Reinhard Lässig | News WSL
Wo die pflanzliche Vielfalt zurückgeht, nimmt die Diversität der Insekten und damit die Biodiversität als Ganzes ab. Auf intensiv genutzten Wiesen und Weiden sowie in dunklen Buchenwäldern fehlen etwa auf wenige Pflanzenarten spezialisierte Insekten, da dort ihre Futterpflanzen nicht mehr vorkommen. Dies zeigt eine von der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL koordinierte internationale Studie.
Die Intensivierung der Landnutzung stellt eine grosse Bedrohung für die biologische Vielfalt dar, unter anderem für pflanzenfressende Insekten und ihre Wirtspflanzen. Sind Käfer, Heuschrecken, Blattwanzen oder Zikaden nur auf eine oder sehr wenige Pflanzenarten spezialisiert, müssen sie abwandern oder sie sterben lokal aus, wenn ihre Wirtspflanzen verschwinden. Ist die vorhandene Nahrungspalette einer Insektenart hingegen artenreich, kann sie trotzdem überleben, auch wenn die Pflanzenarten abnehmen. Das Zusammenspiel von Arten unterschiedlicher Organismengruppen ist letztlich entscheidend für die Stabilität eines Ökosystems.
![Baumarten Saeulendiagramm](/fileadmin/_processed_/4/2/csm_Baumarten_Saeulendiagramm_07c1605346.jpg)
Diesen Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Insekten gingen Forschende mehrerer Forschungseinrichtungen aus Deutschland und der Schweiz unter der Leitung der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL auf den Grund. In der vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten Studie im Rahmen des «Schwerpunktprogramms Biodiversitäts-Exploratorien» der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) untersuchten sie in den drei deutschen Naturräumen Schwäbische Alb (Baden-Württemberg), Hainich (Thüringen) und Schorfheide (Brandenburg) die Vielfalt der Pflanzen und Insekten, sowie deren Wechselwirkungen. Mit ihrer Studie auf intensiv bis wenig bewirtschafteten Wiesen und Weiden (Grünland) sowie in unterschiedlich bewirtschafteten Buchen- und Nadelwäldern wollten sie mehr über das Zusammenspiel zwischen Pflanzen- und Insektenarten herausfinden, die lokale Netzwerke bilden. Die bis zu 1300 Quadratkilometer grossen Naturräume decken eine genügende Anzahl unterschiedlich bewirtschafteter Flächen ab, um statistisch gesicherte Ergebnisse zu erhalten.
![Der Zylindrische Walzenhalsbock (Phytoecia cylindrica), ein Bockkäfer, der gerne an Doldengewächsen wie etwa Wilder Möhre frisst. (Foto: Felix Neff / WSL) Der Zylindrische Walzenhalsbock (Phytoecia cylindrica), ein Bockkäfer, der gerne an Doldengewächsen wie etwa Wilder Möhre frisst. (Foto: Felix Neff / WSL)](/fileadmin/_processed_/8/a/csm_Bild_1_ceca7243a1.jpeg)
![Die Wald-Nessel-Blattzikade (Eupteryx urticae), die sich auf Brennnesseln als Nahrungspflanze spezialisiert hat. Foto: Felix Neff / WSL Die Wald-Nessel-Blattzikade (Eupteryx urticae), die sich auf Brennnesseln als Nahrungspflanze spezialisiert hat. Foto: Felix Neff / WSL](/fileadmin/_processed_/4/6/csm_Bild_3_ausschnitt_77c77f30fc.jpg)
![Viele Käferarten haben sich auf das Fressen einDas Maiglöckchen-Hähnchen (Lilioceris merdigera) zum Beispiel frisst bevorzugt Maiglöckchen. Foto: Felix Neff / WSL Das Maiglöckchen-Hähnchen (Lilioceris merdigera) zum Beispiel frisst bevorzugt Maiglöckchen. Foto: Felix Neff / WSL](/fileadmin/_processed_/a/a/csm_Bild_4_42d7e41d21.jpeg)
![Die Birkenwanze saugt bevorzugt an Birken und profitiert somit von lichten, baumartenreichen Wäldern. Foto: Felix Neff / WSL Die Birkenwanze saugt bevorzugt an Birken und profitiert somit von lichten, baumartenreichen Wäldern. Foto: Felix Neff / WSL](/fileadmin/_processed_/c/d/csm_Bild_5_aabf72f97c.jpeg)
In den Gebieten mit einer Mischung aus naturnahen bis hin zu stark von Menschen genutzten Ökosystemen gingen die Forschenden davon aus, sehr unterschiedliche Insektengemeinschaften vorzufinden. «Da in diesen Gebieten zum Teil auch Insektenarten vorkommen, die auf wenige Futterpflanzen spezialisiert sind, versprachen wir uns neue Einblicke in die Konsequenzen, die eine intensive Nutzung für die ökologische Stabilität von Grünland und Wäldern hat», sagt Martin Gossner, Insektenforscher an der WSL und Leiter der Studie. Insgesamt erfassten die Forschenden auf 289 langfristig angelegten Stichprobenflächen 531 Pflanzen- und 1053 Insektenarten sowie deren Häufigkeiten.
![Intensiv gemähte und gedüngte Wiesen bieten hauptsächlich dem Löwenzahn ein geeignetes Habitat (Foto: Jörg Müller) Intensiv gemähte und gedüngte Wiesen bieten hauptsächlich dem Löwenzahn ein geeignetes Habitat (Foto: Jörg Müller)](/fileadmin/_processed_/c/2/csm_Bild_8_Struht_Eigenrieden_Mueller_Joerg_1265d81645.jpg)
![Ungedüngte Mähweide mit geringer Schafbeweidung ist reich an Pflanzen- und Insektenarten. (Foto: Martin Fellendorf) Ungedüngte Mähweide mit geringer Schafbeweidung ist reich an Pflanzen- und Insektenarten. (Foto: Martin Fellendorf)](/fileadmin/_processed_/0/7/csm_Bild_9_Maehweide_Schaf_ungeduengt_76ef0e69c5.jpg)
![Mässig intensiv genutzte, gedüngte Rinderweide bietet weniger Pflanzen und Insektenarten ein geeignetes Habitat. (Foto: Martin Fellendorf) Mässig intensiv genutzte, gedüngte Rinderweide bietet weniger Pflanzen und Insektenarten ein geeignetes Habitat. (Foto: Martin Fellendorf)](/fileadmin/_processed_/0/d/csm_Bild_10_Rinderweide_geduengt_7f66f6e4ae.jpg)
![Unter Schutz gestellter ehemaliger Buchen-Hutewald auf der Schwäbischen Alb. (Foto: Martin Fellendorf) Unter Schutz gestellter ehemaliger Buchen-Hutewald auf der Schwäbischen Alb. (Foto: Martin Fellendorf)](/fileadmin/_processed_/3/3/csm_Bild_7_Buche_licht_Gereuthau_09c5acbeb5.jpg)
![Durch Nutzung lichter gewordener Buchenbestand. (Foto: Martin Fellendorf) Durch Nutzung lichter gewordener Buchenbestand. (Foto: Martin Fellendorf)](/fileadmin/_processed_/c/b/csm_Bild_11_Buche_licht_SchwAlb_352f10b644.jpg)
![Wenn die Bestände durch Nutzung lichter werden, steigt auch die Artenvielfalt der Pflanzen und Insekten. (Foto: Martin Fellendorf) Wenn die Bestände durch Nutzung lichter werden, steigt auch die Artenvielfalt der Pflanzen und Insekten. (Foto: Martin Fellendorf)](/fileadmin/_processed_/6/f/csm_Bild_13_Fichte_licht_SchwAlb_def1e49796.jpg)
![Viele Fichtenbestände auf der Schwäbischen Alb wurden eng gepflanzt und sind im jungen Alter noch relativ arm an Pflanzen und Insekten. (Foto: Martin Fellendorf) Viele Fichtenbestände auf der Schwäbischen Alb wurden eng gepflanzt und sind im jungen Alter noch relativ arm an Pflanzen und Insekten. (Foto: Martin Fellendorf)](/fileadmin/_processed_/d/2/csm_Bild12_Fichtenbestand_dicht_SchwAlb_4e2383bdab.jpg)
Stabilere Insektengemeinschaften dank hoher Pflanzenvielfalt ¶
In der Studie zeigte sich, dass Pflanzen-Insekten-Netzwerke in wenig beweidetem Grünland aus mindestens 70 Pflanzenarten und 80 pflanzenfressenden Käfer-, Heuschrecken-, Blattwanzen- und Zikadenarten bestehen. So bietet beispielsweise die wilde Möhre, eine typische Pflanze mässig bewirtschafteter Weiden, zahlreichen spezialisierten Käferarten Nahrung. Auf häufig gemähten oder gedüngten Wiesen und Weiden konnten im Mittel hingegen nur 40 Pflanzen- und 60 bis 70 der untersuchten Insektenarten nachgewiesen werden.
In seit kurzem unbewirtschafteten Wäldern mit dichtem Baumbewuchs ist die Biodiversität mit durchschnittlich 25 Pflanzen- und 30 solcher Insektenarten deutlich geringer als in lichten Wäldern. Jenen Insekten, die nur wenige Baum- oder Krautarten als Nahrung nutzen können, fehlt dort die Lebensgrundlage. Hingegen dringt in Wäldern mit zahlreichen Lücken im Kronendach viel Licht auf den Boden, so dass dort bis zu 80 Pflanzen- und 50 pflanzenfressende Insektenarten der studierten Gruppen vorkommen. «Licht fördert die Vielfalt an Pflanzen, welche wiederum mehr Insektenarten als Nahrungsgrundlage dienen. Gleichzeitig sind die Insektenarten weniger gefährdet, lokal auszusterben, das System ist also stabiler», sagt WSL-Forscher Felix Neff, der Erstautor des soeben in der Zeitschrift «Science Advances» erschienenen Fachartikels. Ein Beispiel für die stabilisierende Wirkung lichtdurchfluteter Wälder ist etwa die Brennnessel, die in diesen bevorzugt vorkommt und Nahrungsquelle für viele spezialisierte Schmetterlingsraupen, Rüsselkäfer, Blattzikaden und -wanzen ist. «Als Doktorand fasziniert mich diese Forschung nicht nur wegen der grossen, artenreichen Gebiete, die wir untersuchen; für mich ist auch die Zusammenarbeit mit den zahlreichen interdisziplinären Forschungsgruppen eine Bereicherung», betont Felix Neff.
![Pflanzen-Insekten_Netzwerke (Grafik: Felix Neff)](/fileadmin/_processed_/3/0/csm_Insekten_Netzwerke_f9663d9f30.jpg)
Ergebnisse dürften sich in die Schweiz übertragen lassen ¶
Werden lichtere Wälder gefördert, erhöht sich nicht nur die Vielfalt an Bodenpflanzen, Sträuchern und Bäumen, sondern auch die von der Pflanzenvielfalt profitierenden Insektenarten. Auch förderlich sind aus verschiedenen Laub- und Nadelbäumen gemischte Bestände, die sich ausserdem als stabiler gegenüber dem fortschreitenden Klimawandel erweisen dürften. Nimmt die pflanzliche Vielfalt hingegen ab, geht auch die Diversität der erfassten Insekten und damit die gesamte Biodiversität zurück. Derartige Ökosysteme verarmen also.
Für Grünland empfehlen die Forschenden eine moderate Beweidung anstelle des intensiven Mähens, um vielfältige und stabile Insektengemeinschaften zu fördern. «Diese Erkenntnisse lassen sich auch auf die Schweiz übertragen, beispielsweise aufs Mittelland, den Jura oder die tieferen Lagen der Voralpen», sagt Martin Gossner, «das Projekt der Exploratorien hatte von Beginn an zum Ziel, Aussagen machen zu können, die auf verschiedene Regionen Europas zutreffen».
![Die Gewöhnliche Kuhschelle findet sich auf sonnigen extensiv genutzten Grünlandstandorten der Schwäbischen Alb und des Schweizer Jura. (Foto: Martin Fellendorf) Die Gewöhnliche Kuhschelle findet sich auf sonnigen extensiv genutzten Grünlandstandorten der Schwäbischen Alb und des Schweizer Jura. (Foto: Martin Fellendorf)](/fileadmin/_processed_/d/e/csm_Bild_14_Pulsatilla_vulgaris_ffebcc2ad5.jpg)
![Der Deutsche Fransenenzian kann auf der Schwäbischen Alb häufig auf extensiv genutzten Schafweiden entdeckt werden (Foto: Martin Fellendorf) Der Deutsche Fransenenzian kann auf der Schwäbischen Alb häufig auf extensiv genutzten Schafweiden entdeckt werden (Foto: Martin Fellendorf)](/fileadmin/_processed_/5/4/csm_Bild_15_Deutscher_Enzian_977789a05d.jpg)
![Der kleine Klappertopf ist charakteristisch für artenreiche Feuchtwiesen (Foto: Martin Fellendorf) Der kleine Klappertopf ist charakteristisch für artenreiche Feuchtwiesen (Foto: Martin Fellendorf)](/fileadmin/_processed_/7/6/csm_Bild_16_Klappertopf_7edc8e3be1.jpg)
![Der Gewöhnliche Fransenenzian wird häufig auf extensiv genutzten Schafweiden angetroffen. (Foto: Martin Fellendorf) Der Gewöhnliche Fransenenzian wird häufig auf extensiv genutzten Schafweiden angetroffen. (Foto: Martin Fellendorf)](/fileadmin/_processed_/6/9/csm_Bild_17_Gentianopsis_ciliata_Muensingen_73fd0ef901.jpg)
Kontakt ¶
Wissenschaftliche Publikation ¶
Links ¶
Copyright ¶
WSL und SLF stellen Bildmaterial zur Bebilderung von Presseartikeln im Zusammenhang mit dieser Medienmitteilung kostenfrei zur Verfügung. Eine Übernahme der Bilder in Bilddatenbanken und ein Verkauf der Bilder durch Dritte sind nicht gestattet.