Am Forum für Wissen 2019 «Lernen aus Extremereignissen» standen Erkenntnisse aus vergangenen Naturgefahren-Ereignissen und der fachliche Austausch im Mittelpunkt.
«Wir wollen vom Lernen lernen», so Christoph Hegg, stellvertretender Direktor der WSL, in seiner Begrüssungsrede, «damit wir noch besser auf die nächsten Extremereignisse vorbereit sind». Der Umgang mit Naturgefahren hat in der Schweiz ein hohes Niveau erreicht und ist breit abgestützt: Bund, Kantone und Gemeinden sowie Forschung und Politik arbeiten eng zusammen.
Zwei Drittel der 220 Teilnehmenden am Forum für Wissen 2019 sind im öffentlichen Dienst tätig, viele entscheiden darüber, ob eine Strasse gesperrt, eine Lawine gesprengt oder eine Felswand gesichert werden muss. Ein Drittel arbeitet in der Forschung oder in Ingenieurbüros. Als praktische Anwender geben sie wichtige Anregungen in die Wissenschaft zurück.
Wenn das Forum eines zeigte, dann dies: Extremereignisse sind nicht einfach zu bewältigen, aber immer auch als Chance zu verstehen, woraus gelernt werden kann und Innovationen sowie neue Gesetze entstehen. Das Hochwasser von 1868, das vor allem das Tessin und das Rheintal hart traf und 51 Todesopfer forderte, wird als «Hochwasser, das die Schweiz prägte» bezeichnet: Nach diesem Extremereignis rief der Bundesrat eine Expertenkommission ein, 1876 wurde das Forstpolizeigesetz geschaffen, ein Jahr später das Wasserbaugesetz.
Extremereignisse als Katalysatoren
Egal ob Hochwasser, Murgang, Lawine oder Steinschlag: Auf bauliche folgten planerische und dann organisatorische Optimierungen. Dies zeigt sich sehr schön an den Lawinenwintern 1951, 1968 und 1999. Im 19. und 20. Jahrhundert beispielsweise gab es viele Gewässerkorrekturen, Flüsse wie etwa die Linth wurden in den Walensee geleitet, Sperrtreppen und andere Bauten errichtet. Das integrale Risikomanagement (IRM), das nach dem Hochwasser 1987 an Bedeutung gewann, markiert einen neuen Umgang mit Naturgefahren: Die Flussbecken werden seither renaturiert und baulich optimiert. In Bondo wurde nach dem Bergsturz 2017 das Auffangbecken erweitert, Häuser, die in der Gefahrenzone waren, nicht mehr aufgebaut und weitere Warnanlagen installiert.
Modellierungen sind nicht nur eine wichtige Datengrundlage für Gefahrenkarten, sondern helfen auch bei der Analyse von Naturgefahrenprozessen in Zukunft – und der Vergangenheit. Beispielsweise konnte man mit einer Rekonstruktion und Nachmodellierung des Hochwassers von 1876 zeigen, dass die seither getätigten Hochwasserschutzmassnahmen im Tessin wirken und bei einem ähnlichen Ereignis heute weniger Land überflutet würde. «Insbesondere mit Blick auf die Klimaerwärmung gilt es, das Undenkbare zu denken», so SLF-Leiter Jürg Schweizer in seinem Schlusswort, «und Szenarien für mögliche Verkettungen von Naturgefahren zu entwickeln.» Auch wenn «Extremereignisse wie ein Katalysator für Ideen wirken» machte dieses Forum auch klar, ausgelernt hat man nie: Dies zeigt die Reaktion der Buche auf den letztjährigen Hitzesommer. Nicht nur die Fichte, sondern auch die Buche wird sich langfristig aus dem Mittelland zurückziehen, wie neuste Forschungsergebnisse der WSL zeigen.
Podiumsdiskussion
«Aus Schaden wird man klug» heisst ein Sprichwort. Also müsste der Mensch auch aus extremen Naturereignissen etwas lernen, folgerte Moderatorin Birgit Ottmer, WSL. «In Bondo wurden wir im August 2017 vom ersten Murgang überrascht, danach haben wir gelernt», sagt Anna Giacometti, Gemeindepräsidentin von Bregaglia, in der Podiumsdiskussion. Die Bevölkerung war für die Jahre zuvor installierte Warnanlage und das Auffangbecken für Bergsturzmaterial dankbar und arbeitete darum eng mit den beteiligten Fachleuten zusammen. Auch Josef Eberli vom Bundesamt für Umwelt BAFU kennt Beispiele für Schutzmassnahmen, die sich auch ohne ein Grossereignis durchsetzen liessen. Doch gerade bei der Erdbebenvorsorge und -versicherung «kommt die Schweiz ohne ein Erdbeben wohl nicht weiter», fürchtet er, «denn die Menschen können sich nicht vorstellen, was sie sich nicht vorstellen können».
Risikothemen seien oft schwer zu kommunizieren, das zeigt die bei vielen Menschen verbreitete Meinung, Schäden durch Naturgefahren liessen sich völlig vermeiden: «Die totale Sicherheit gibt es nicht», sagt Stefan Engler, Ständerat Kanton Graubünden. Darum trete er dafür ein, dass die Politik die Gefahrenprävention und auch die Forschung unterstütze, damit das Restrisiko vor Naturereignissen möglichst klein bleibe. Stefan Margreth vom SLF riet dazu, bei Extremereignissen nicht überstürzt bauliche Massnahmen zu treffen. Und Nils Hählen von der Fachstelle Naturgefahren des Kanton Bern plädierte schliesslich dafür, dass sich bei extremen Naturereignissen alle beteiligten Stellen austauschen müssten, um voneinander zu lernen. In solche Gespräche müsse man auch die Bevölkerung einbinden. Der Einbezug der betroffenen Menschen sei ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Bewältigung von Naturereignissen. Reinhard Lässig
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