Was es braucht, damit Tiere in Städten überleben können

Städte sind nicht der natürliche Lebensraum für Wildtiere. So überleben dort nur Tierarten, deren Lebensweise mit dem städtischen Umfeld vereinbar ist. Eine internationale Studie mit Beteiligung der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL untersuchte die Eigenschaften von wilden Stadttieren und identifizierte ihre Überlebensstrategien. Diese Kenntnisse sollten bei der Planung von Grünflächen berücksichtigt werden, um die Artenvielfalt in der Stadt zu unterstützen.

Das Wachstum von Städten und verbauten Flächen ist eine der Hauptursachen des weltweiten Artenverlusts. Viele Tierarten verlieren ihre natürliche Lebensgrundlage. Grünflächen sind in Städten oft nur klein und zerstückelt. Zudem müssen Tiere mit höheren Temperaturen in Städten, der Luft- und Lichtverschmutzung sowie starkem Verkehr klarkommen. «Städte sind eine Art Filter für die lokale Biodiversität. Tierarten, welche kein Essen oder keine Plätze für die Fortpflanzung und Aufzucht ihrer Nachkommen finden, werden aussortiert und sterben aus», erklärt der WSL-Ökologe Marco Moretti.

Dennoch können Städte eine hohe biologische Vielfalt aufweisen, wenn bei der Planung und Bewirtschaftung von Grünflächen die unterschiedlichen Bedürfnisse und Lebensstrategien der Arten, berücksichtigt werden. Denn Tiere können auf vielfältige Weise in Städten überleben. Dies zeigt eine im renommierten Wissenschaftsmagazin Nature Communications veröffentlichte Studie mit Beteiligung der WSL auf.

Das internationale Forschungskonsortium untersuchte Messdaten zum Körperbau, zur Fortpflanzung und zur Ernährung von Bienen, Laufkäfern, Vögeln, Fledermäusen, Amphibien und Reptilien. Sie sammelten Daten aus 379 Städten auf 6 Kontinenten einschliesslich der bislang wenig erforschten Tropen.

Mobile Fledermäuse und anspruchsvolle Reptilien

Die Forschenden hatten erwartet, in den Städten vor allem Generalisten anzutreffen, die sich von unterschiedlichen Quellen ernähren können und nicht anspruchsvoll sind in der Wahl ihres Nest- und Brutplatzes. Spezialisten, die auf bestimmte Nahrungsquellen oder Orte der Fortpflanzung angewiesen sind, haben es in der Regel schwer in Städten.

Die Analyse zeigt jedoch, dass durchaus auch Spezialisten eine Überlebenschance haben, wenn sie entsprechende Lebensbedingungen finden. Tatsächlich fanden die Forschenden unterschiedliche Lebensstrategien oder ‘urban trait syndromes’, die sie in vier Gruppen einteilten (siehe Box). Sie unterscheiden sich vor allem darin, wie die Tiere Nahrung finden und sich fortpflanzen.

Amphibien und Reptilien haben in Städten wenig Aussichten, geeignete Brutplätze (Teiche bzw. sonnige ruhige Gebiete) zu finden. Sie bleiben zeitlebens am gleichen Gebiet und sind auf das dort vorhandene Futter spezialisiert. Durch diese Spezialisierung wird die Konkurrenz um Futter reduziert und es können mehr Tiere auf engem Raum leben. Diese wenig mobilen Spezialisten sind jedoch in Städten stark gefährdet, sei es durch den Verlust und die Zerstückelung ihrer Lebensräume, Nahrungsmangel, und Umweltverschmutzung. Damit sind die Populationen solcher Standort-Spezialisten stärker vor dem Aussterben bedroht.

Vögel und Wildbienen leben überwiegend an einem zentralen Ort, von welchem aus sie auf Nahrungssuche in der Umgebung gehen. Dafür sind sie bei ihrer Nahrung weniger wählerisch und fressen, was sie bekommen können. Auch leben eher Vögel mit einer kleinen Anzahl von Nachkommen in Städten. Dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des einzelnen Jungtiers, genügend Futter zu bekommen und zu überleben.

Typische Generalisten mit hoher Mobilität hingegen sind Laufkäfer und Fledermäuse. Manche in Städten lebende Fledermäuse sind darauf ausgerichtet, möglichst grosse Strecken zwischen Nestplätzen und Futterquellen zurückzulegen. Sie bewegen sich frei in der Stadt und nutzen die verschiedenen Möglichkeiten der Nahrungssuche, welche die Stadt bietet.

Fallen für die Biodiversität vermeiden

Die Studie bestätigt, dass Städte vielen verschiedenen Lebewesen Platz bieten. «Für die Tiere wichtige Ressourcen müssen jedoch geschützt werden. Insbesondere Plätze für die Fortpflanzung, die für viele spezialisierte Arten rar sind», betont Moretti. In der Stadtplanung sollte daher die Biodiversität und die unterschiedlichen Bedürfnisse von Lebewesen mit einbezogen werden.

Für die Schweiz heisst das beispielsweise, dass Städte zwar verdichtet werden sollten, dabei aber auch genügend Grünflächen eingeplant werden, die an die unterschiedlichen ökologischen Bedürfnisse der verschiedenen Arten angepasst sind. «Beispielsweise könnten Dächer vermehrt begrünt werden», schlägt Moretti vor. «Wichtig sind auch Brücken oder Korridore zwischen verschiedenen Grünflächen.» Ohne Verbindungswege werden kleine, isolierte Flächen zu Fallen für jene Organismen, die sich nicht ausbreiten können mit dem Risiko einer verstärkten Inzucht und eines Rückgangs der Populationen. Weiter ist auch die Qualität der Grünflächen von Bedeutung, wie Moretti erläutert: «Grünflächen sollten vielen verschiedenen Pflanzen Platz bieten. Dies erhöht die Artenvielfalt der Insekten, welche wiederum eine Nahrungsquelle für Vögel und andere Tierarten sind.»

Vier Strategien zum Überleben in Städten

Nicht pingelig sein ist die Strategie der Mobilen Generalisten (mobile generalists). So überleben Fledermäuse und Laufkäfer durch eine vielseitige Ernährung und eine hohe Mobilität. So können sie längere Strecken fliegen und sich einfacher zwischen voneinander abgeschnittenen Grünflächen bewegen.

Ihnen gegenüber stehen die Standort-Spezialisten (site specialists) zu welchen die Amphibien und Reptilien gehören. Sie leben in für sie optimalen Lebensräumen, welche sie zeitlebens nicht verlassen. Zudem spezialisieren sie sich auf eine Nahrungsquelle. Denn so reduziert sich auf kleinen Flächen die Konkurrenz unter den Tierarten und es können mehrere ökologische Nischen ausgenutzt werden.

Mobil, aber dennoch gebunden an ihren Brut-Ort sind die central place foragers. Diese Tierarten haben einen zentralen Lebensort, von welchem aus sie Ausflüge zur Nahrungssuche unternehmen. Diese Strategie weisen beispielsweise Bienen und Vögel auf. Beide sind im Vergleich zu ihren Artgenossen auf dem Lande weniger mobil, aber dafür weniger wählerisch in ihrer Ernährung.

Aus den drei beobachteten Strategien lässt sich eine vierte Strategie von Mobilen Spezialisten (mobile specialists) ableiten. Diese Strategie wurde in der Studie nicht beobachtet. Es gibt jedoch Grund zu der Annahme, dass es auch mobile, auf besonderes Futter spezialisierte Arten gibt. Sie könnten ihre individuelle Nahrung weitläufig suchen, ohne an einen zentralen Ort zurückzukehren.

Urban trait syndrome

Mobilität

Ernährung

Fortpflanzung

Mobile Generalisten

Erhöhte Mobilität

Vielseitige Ernährung

Unterschiedliche Strategien und Orte

Mobile Spezialisten

Erhöhte Mobilität

Spezialisierte Ernährung

Unterschiedliche Strategien an spezifischen Orten

Central place foragers

Ort-treue

Vielseitige Ernährung

Spezialisierte Strategien und Orte

Standort-Spezialisten

Verringerte Mobilität

Spezialisierte Ernährung

Spezialisierte Strategien und Orte

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