21.04.2020 | Logbuch
Autor ¶
Amy Macfarlane
Auch wenn die Arbeit auf der Eisscholle schwierig ist und Flexibilität und Ausdauer erfordert, verlässt SLF-Doktorandin Amy Macfarlane nicht der Mut. Sie geniesst die einzigartige Landschaft, freut sich über die Rückkehr des Lichts und schätzt den guten Zusammenhalt im Team. Trotzdem würde sie gern mal wieder ohne dicken Polaranzug nach draussen gehen. Doch wann sie in wärmere Gefilde zurückkehren kann, ist derzeit unklar.
Nach einem Monat in 24-stündiger Dunkelheit an Bord des Eisbrechers «Dranitsyn» war es ein besonderer Moment, als wir die Lichter der «Polarstern» am Horizont erblickten. Für mich ist es der erste Aufenthalt auf dem deutschen Forschungsschiff. Deshalb ist es ein Glück für mich, dass meine Kollegin und Leiterin des ICE-Teams Stefanie Arndt bereits an zehn früheren «Polarstern»-Expeditionen teilgenommen hat und das Schiff praktisch ihre zweite Heimat ist.
Die Übergabephase verlief reibungslos, und bald fühlten Stefanie und ich uns bereit, die Verantwortung für die Schnee-Messungen der dritten Etappe der MOSAiC-Expedition zu übernehmen. Die Arbeit war neu und spannend. Die Orientierung auf dem Eis wurde mit der Zeit immer einfacher, denn nun hatten wir 24 Stunden lang Dämmerung, welche die schönsten Farben an den Himmel zauberte und einen ersten Blick auf die zuvor dunkle Eisscholle erlaubte. Ich glaube, was die Lichtverhältnisse betrifft war dies meine Lieblingszeit.
Nach einer Woche auf der «Polarstern» begann sich das Eis zum ersten Mal zu verändern. Als wir für das morgendliche Schneeprofil unterwegs waren, bemerkten wir drei Risse im Eis. Alle waren etwa einen halben Meter breit. Voller Aufregung sprang einer nach dem anderen von unserer Gruppe hinüber, dann zogen wir die Schlitten hinterher. Rückblickend war dies der Beginn vieler Schwierigkeiten bei der Arbeit und beim Zugang zu unseren Messfeldern, die uns das Auseinanderbrechen des Eises bescheren sollte. Ich betrachte diesen Moment als eine schöne, sanfte Einführung in die Arbeit auf dem Meereseis und in das, was wir alles über Eisdynamik lernen würden. Ein kleiner Riss im Eis kann sich in wenigen Minuten zu einer breiten Rinne entwickeln. Wir müssen stets darauf gefasst sein, von der Scholle evakuiert zu werden und die Arbeit wegen der instabilen Eisbedingungen unterbrechen zu müssen. Alle Pläne müssen völlig flexibel sein und ändern sich stündlich, da sich die Umwelt so schnell verändert!
Wir haben viele Orte für Schneeprofile verloren, weil das «central observatory», also der Hauptbereich der Messungen auf der Eisscholle, zunehmend durch Risse und Presseisrücken zerstört wird. Dies bietet uns jedoch die Gelegenheit für verschiedene neue Messansätze, und wir müssen oft improvisieren, um einen bestehenden Messort zu erreichen oder neue Zeitreihen an einem neuen Ort zu beginnen. Wir haben ein grossartiges Team an Bord, und alle arbeiten extrem hart unter den schwierigen Bedingungen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir derzeit vier Hauptprobleme überwinden:
- Die Eisverhältnisse, die unsere wissenschaftliche Arbeit und die Projekte beeinträchtigen. Die Instabilität der Bootsverankerung im Eis bedeutet, dass die Gangway häufig nicht hinuntergelassen werden kann und wir nicht aufs Eis können.
- Das Schiff driftet mit dem Eis sehr schnell Richtung Süden.
- Regelmäßige Stürme und starke Winde schränken die Arbeit auf dem Eis ein, wir betrachten sie aber auch als eine Art unterhaltsames Ausdauertraining.
- Unser Rückreisedatum ist durch die Reisebeschränkungen aufgrund der Coronavirus-Pandemie ungewiss, und Flugzeuge können derzeit ohnehin nicht auf unserer Landebahn aufsetzen, weil diese durch die Eisbewegungen stark gelitten hat.
Wir sind wahrscheinlich eine der grössten Zusammenkünfte - etwa 100 Menschen an Bord -, die es derzeit auf der Welt gibt, was für uns ein seltsamer Gedanke ist, wenn man bedenkt, wie abgelegen wir hier sind. Einige Leute an Bord empfinden die Ungewissheit der Situation als schwierig, und Besprechungen verlaufen oft stressig. Doch regelmässig stattfindende Geburtstagspartys heben die Stimmung (letzte Woche waren es fünf!), ebenso abendliche Spaziergänge und Brettspielabende. Ausserdem gibt uns die gemeinsame Arbeit auf dem Eis die Möglichkeit wirklich wahrzunehmen, wie einzigartig die Umgebung ist. Letzte Woche hatten wir sogar die Gelegenheit, zelten zu gehen, was eine tolle Erfahrung war. Minus 30 Grad und 24 Stunden Tageslicht bedeuteten, dass mein Dienst als Eisbärenwächterin von vier bis fünf Uhr morgens gar nicht so anders war als die Arbeit am Tag.
Es wird nach Lösungen für unsere Rückkehr in die Heimat gesucht, die jedoch derzeit für das Alfred-Wegener-Institut (AWI) äusserst schwierig zu organisieren ist. Derzeit gibt es einige Optionen, die es uns erlauben würden, im Juni zurückzukehren, doch die Daten sind noch ungewiss. Wir überwinden täglich neue Herausforderungen und ich persönlich empfinde die Arbeit hier als sehr befriedigend und freue mich auf die nächsten Monate an Bord. Allerdings ist der Gedanke, im Sommer im T-Shirt draussen herumzulaufen ohne all die dicken warmen Schichten, die wir hier tragen müssen, auch sehr verlockend!