Entlang der Küste Ostgrönlands liegen einige der unberührtesten Fjorde und Gletscherlandschaften der Welt. Hierher reiste der WSL-Mikrobiologe Beat Frey mit der «Leister Go East 2023 Expedition» auf dem Eisbrecher Nansen Explorer, um Plastikabfälle zu sammeln und darauf lebende unbekannte Mikroben zu isolieren.
Ich liebe grossartige Landschaften, unberührte Wildnis, Berggipfel und Gletscher, daher war ich schon immer von der Arktis fasziniert. Ostgrönland ist eine der isoliertesten Gegenden der Insel, ja auf der ganzen Welt. Auf ganz Grönland wohnen nur etwa 56‘000 Menschen, an der schroffen Ostküste rund 3000. Die grösseren Siedlungen befinden sich alle im Westen und Süden des Landes. So abgeschieden ist die Ostküste, dass sich die Sprache der Einwohnenden sogar von der anderer Inuit Grönlands unterscheidet.
In diese unberührte Landschaft führt die diesjährige «Leister Go East 2023 Expedition» mit dreizehn schweizerisch-dänischen Forschenden an Bord des Eisbrechers Nansen Explorer. Mein Projekt «ArcticBioTech: Unlocking Access to Unexploited Natural Products of Arctic Microorganisms»
war eines von neun wissenschaftlichen Projekten an Bord. Das luxuriöse Forschungsschiff ist mit einem Helikopter, zwei Schlauchbooten und einem kleinen Labor ausgerüstet (Photo 1). Über Island erreichen wir mit einem Privatcharter die Halbinsel Constable Pynt, früher bekannt als Scoresbysund, und von dort gelangen wir in die nahe gelegene Siedlung Ittoqqortoormiit auf dem 70. Breitengrad, die nur 345 Einwohnende zählt. In den kommenden vierzehn Tagen wird die Nansen Explorer die Südspitze von Grönland umschiffen.
Plastikmüll in unberührten Fjorden ¶
Wir besuchen abgelegene Fjorde mit indigoblauem Wasser, von den grau-weissen Bergen fliessen gewaltige Gletscher und kalben direkt im Meereis. Schillernde Eisberge treiben majestätisch in den Fjorden (Photo 2, Photo 3). Unvergesslich sind die spektakulären Aussichten vom Helikopter aus auf Fjorde mit kolossalen Eisbergen und den grönländischen Eisschild, der bis zum Horizont reicht (Photo 4).
In meinem Projekt geht es um Plastik und plastikfressende Mikroben. Das Schlauchboot bringt mich in viele kleine, idyllische Buchten mit Sandstränden, in denen sich Seehunde tummeln. Ich vermute, dass in den meisten Buchten vor mir noch nie Menschen waren (Photo 5). Aber die weltweite Plastikverschmutzung der Ozeane macht auch vor den abgelegensten Regionen nicht Halt. Ich sammle Fischernetze, Textilfasern, Polystyrol, Schnüre, Folien und Flaschen ein (Photo 6, Photo 7). Von den insgesamt zwölf besuchten Stränden zwischen dem 70 bis zum 59 Breitengrad, was etwa 2000 Kilometer Distanz entspricht, sind nur gerade vier Buchten «sauber». Immerhin, so denke ich mir, gibt es doch noch unverschmutzte Orte auf dieser Erde.
Meine Suche gilt eigentlich Mikroben wie Bakterien und Pilzen, die Plastik verdauen können. Sie könnten eine Lösung für das globale Plastikproblem sein. Diverse kommerzielle Anbieter konkurrieren bereits um den zukunftsträchtigen Markt mit den Plastikfressern. Doch die meisten Mikroorganismen, die Plastik zersetzen können, funktionieren erst bei Temperaturen über 30 Grad Celsius. Das macht die industrielle Nutzung schwierig, teuer und klimaschädlich. Deshalb suchen wir in meiner Forschungsgruppe Mikroben, die Plastik auch bei niedrigeren Temperaturen verdauen können.
Schweizerland und Nationalblume Grönlands ¶
Etwas Besonderes für die Schweizer Expeditionsteilnehmenden ist der Besuch von «Schweizerland» (Photo 8). Das Gebirge wurde 1912 vom Schweizer Geophysiker und Arktisforscher Alfred de Quervain nach der zweiten Schweizer Expedition benannt, auf der er die grönländische Eiskappe von Westen nach Osten durchquerte. Eine Landschaft von erhabener Schönheit – scharfgezackte Gipfel, Eis und Schnee, soweit das Auge reicht. Die Gletschervorfelder im Tiefland sind mit arktischen Gewächsen getupft, darunter hiesiger Thymian, Blauglocke und Löwenzahn. Auch die pinkfarbene Nationalblume Grönlands (Photo 9) gedeiht hier, das Arktische Weidenröschen aus der Familie der Nachtkerzengewächse.
Kaum menschliches Leben ¶
Am achten Tag sehen wir erstmals Spuren von Zivilisation. Tasiilaq ist ein Dorf mit etwa 2000 Einwohnern und die bevölkerungsreichste Gemeinde an der Ostküste. Ausserhalb gibt es keine Strassen, alle Transporte geschehen per Helikopter oder Boot. Wir besuchen auch das weit abgelegene Inuit-Dorf Isertoq, die vielen Geisterhäuser zeugen davon, dass es seit 1990 fast die Hälfte seiner Bevölkerung verloren hat (Photo 10). Die verbliebenen gut 50 Einheimischen leben hauptsächlich vom Fischfang. Für mich ein idealer Ort, um Plastikmüll zu sammeln (Photo 11).
Wildtieren begegnen wir kaum. Einige Expeditionsteilnehmende entdecken arktische Füchse und Pfotenabdrücke von Eisbären. Dass keine Eisbären unseren Weg kreuzen, ist sowohl eine Erleichterung als auch eine Enttäuschung. Vom Schiff aus beobachten wir verschiedene Wale, Seehunde und die unterschiedlichsten Vögel. Je südlicher wir reisen, desto mehr plagen uns an Land oder in Ufernähe kleine Fliegen und Mücken. Ohne Kopf-Moskitonetz ist das Arbeiten fast unerträglich (Photo 12).
Auch der Klimawandel ist sichtbar ¶
Das Wetter ist erstaunlich mild und sonnig. Vierzehn Tage durchgehend Sonnenschein, gelegentlich etwas Nebel am Morgen – das ist für das nebelgewohnte Ostgrönland ziemlich unüblich. In windgeschützten Tälern steigt das Thermometer sogar bis auf 19 Grad Celsius, was einige von uns spontan für einen Sprung ins Gletscherschmelzwasser eines Fjordes nutzen. Brrr…nicht einmal eine Minute halte ich es aus.
Der Klimawandel und die von ihm verursachten Landschaftsveränderungen sind unsere ständigen Begleiter. Gletschermoränen zeigen deutlich auf, wie sich der Klimawandel auf Grönland auswirkt (Photo 13). Eindrücklich ist das Kalben der Gletscher, wenn Eisstücke mit lautem Knallen, Kreischen und Krachen in die Fjorde stürzen.
Besonders spannend ist es, wenn ich Exkursionen anderer Forschender begleiten darf. Ich helfe Joe Marlow von der Universität Aarhus, der mit einer Unterwasserdrohne die Gemeinschaften von Makroalgen (Seetang) auf dem Meeresgrund dokumentierte (Photo 14). Durch den Klimawandel verändern sich deren Bewuchs und Artenzusammensetzung. David Janssen von der EAWAG sammelt Wasserproben von fünfzig verschiedenen Gletscherbächen, deren chemische Zusammensetzung er später analysieren wird (Photo 15). Ihn interessiert, ob durch die Gletscherschmelze potenziell gefährliche Stoffe in den Ozean gelangen. Eine andere Studie befasst sich mit den heissen Quellen und den Mikroorganismen, die in diesen extremen Lebensräumen leben (Photo 16). Dank der von der Leister Stiftung gesponserten «Leister Go East 2023 Expedition» können wir in kurzer Zeit zahlreiche wissenschaftlich unerforschte Standorte besuchen. Auf die Forschungsresultate bin ich jetzt schon gespannt.
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