Langfristige Beobachtung des Baumwachstums im Lötschental

Wir untersuchen, was hinter der Baumrinde geschieht und wie dieser Prozess mit dem Klimawandel zusammenhängt.

Die Rolle des Pflanzenwachstums

Das Pflanzenwachstum spielt eine wichtige Rolle für das Leben auf der Erde. Durch Wachstum entsteht Biomasse (Netto-Primärproduktivität), und über die dabei ablaufenden chemischen Reaktionen beeinflusst es die globalen Kohlenstoff-, Wasser- und Energiekreisläufe, die schliesslich auf das Klimasystem einwirken. Holz, also das Produkt des sekundären Dickenwachstums, ist der wichtigste langfristige biotische Speicherort für Kohlenstoff zu Lande – die Holzbildung in Bäumen absorbiert jährlich etwa 15 % der anthropogenen Kohlendioxidemissionen. Die Pflanzen bauen diesen Kohlenstoff in die Holzstruktur ein, um den Wasser- und Nährstofftransport zu ermöglichen und um ihre Stabilität und die Speicherung von Kohlenhydraten, Wasser und Abwehrstoffen zu gewährleisten. So können die Bäume innerhalb des Bereichs der lokalen Klimavariabilität korrekt funktionieren. Ein tieferes Verständnis des intra-jährlichen Baumwachstums ist der Schlüssel, um drängende Forschungsfragen im Zusammenhang mit den kurz- und langfristigen Auswirkungen des Klimawandels (einschliesslich Extremen) auf das Waldwachstum, die Vegetationsdynamik und das Klima zu beantworten. Fundierte Vorhersagen, wie das Wachstum auf den Klimawandel reagieren wird, sind daher von entscheidender Bedeutung.

Das Kamibum von innen her betrachtet

Das Kambium, also die dünne Schicht, in der sich Zellen aktiv teilen, liegt versteckt hinter der Borke und ist somit nicht leicht zu beobachten. Hier findet die jahreszeitliche Dynamik der holzigen Biomasseproduktion statt. Darum ist unser Verständnis dieser Schlüsselkomponente des Kohlenstoffkreislaufs nach wie vor sehr begrenzt, zum Beispiel wie empfindlich sie gegenüber dem Klima ist oder welchen Einfluss sie auf die Funktionsfähigkeit, Widerstandsfähigkeit und Artenverteilung der Bäume hat.

Das Studium der Xylogenese, d.h. des Prozesses der Xylem-Bildung in Holzpflanzen (siehe Rathgeber et al. 2016 für einen Crash-Kurs), erlaubt es, die innere Rindenoberfläche quasi von innen nach aussen zu stülpen, um die Bildung sowohl des Xylems als auch des Phloems zu beobachten. Das Studium dieser im Baumstamm ablaufenden Prozesse in Abhängigkeit von den gleichzeitig auftretenden Umweltbedingungen hat das Potenzial, feinskalige Untersuchungen der Reaktion von Pflanzen auf Umweltvariationen zu ermöglichen. Diese Reaktionen haben direkte Auswirkungen auf das regionale Klima, die Kohlenstoffaufnahme, die Biodiversität und die Gesellschaft.

Beobachten, um zu verstehen und vorherzusagen

Monitoring zeigt auf, was passiert, Forschungsergebnisse zeigen auf, warum etwas passiert, und Modellierung hilft uns zu zeigen, was passieren kann. Das Lötschental bietet den idealen Forschungsrahmen, um die drei Ansätze rund um das «Sekundäre Wachstum» zu kombinieren, diesem höchst fundamentalen und umweltsensiblen Prozess.

Der Kurzfilm (Englisch mit deutschen Untertiteln) zeigt auf eindrückliche Weise, welch faszinierender Fundort das Lötschental darstellt.

Monitoring-Transekt des Baumwachstums im Lötschental

Um die Auswirkungen des prognostizierten Temperaturanstiegs in Waldökosystemen besser zu verstehen und vielleicht sogar vorherzusagen, beobachtet die Gruppe Dendrowissenschaften der WSL das Waldwachstum entlang der Süd- und Nordhänge des Lötschentals. Der Lötschentaler Monitoring-Transekt ist ein Set von neun Baumwachstums-Messstellen, die entlang eines Höhengradienten von 800 bis 2200 m ü. M. verteilt sind. Die Versuchsanordnung (Abbildung 2) wurde im Herbst 2006 aufgebaut und bietet die Infrastruktur, um das kontinuierliche Stammwachstum von ausgewachsenen Fichten und Lärchen, die unter natürlichen Bedingungen gewachsen sind, zu untersuchen. Die Besonderheit der Anlage beruht auf der langfristigen Überwachung der Xylogenese (Holzbildung) mittels wöchentlicher Gewebeproben aus den Stämmen der Bäume (Abbildung 3), parallel zu sub-stündlichen Messungen des radialen Wachstums, des Saftflusses, der Luft- und Bodentemperatur, der relativen Feuchtigkeit, des Bodenwassergehalts, des Bodenmatrixpotenzials und der Sonneneinstrahlung an jedem Standort (Abbildung 4). Diese Daten wurden zeitweilig durch zusätzliche Messungen ergänzt, um Isotopensignale in Boden- und Baumkompartimenten, die Baumphänologie, die Dynamik der nicht-strukturellen Kohlenhydrate im Kambium, die genomische DNA der Bäume sowie die Jahrringbreite und Holzanatomie zu bestimmen.

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Abbildung 2: Die Anordnung des Lötschentaler Monitoring-Transektes. Die Ende 2006 initiierte Versuchsanordnung besteht aus insgesamt neun Baumwachstums-Monitoring-Standorten, die so positioniert sind, dass sie einen ökologischen (Höhen-)Gradienten optimal abdecken. Ausgehend von der Talsohle auf 1300 m ü.M. (N13) verteilen sich die Standorte mit jeweils 300 m Höhenzuwachs sowohl entlang der sonnenseitigen (S) als auch der nordseitigen (N) Hänge bis zur Waldgrenze auf 2200 m ü.M. (S22 und N22). 2008 wurde ein zusätzlicher Standort auf 800 m ü.M. im Haupttal der Rhone in der Nähe von Gampel (N08) hinzugefügt, um das Höhengefälle zu seinem warmen und trockenen Ende hin zu erweitern. 2012 wurde auch ein zusätzlicher feuchter Standort hinzugefügt, um einem trockenen Standort am Talboden (N13W) entgegenzuwirken. 2019 wurden die drei höchsten Standorte an den Nordhängen (N16, N19, N22) abgebaut, um die Ressourcen auf die strassenzugänglichen Standorte am Südhang zu konzentrieren. Der durchschnittliche Temperaturunterschied der Vegetationsperiode zwischen den nahe gelegenen Extrempunkten des Höhengradienten beträgt etwa 7 °K. An jedem Standort haben wir die Wachstumsphysiologie mit Dendrometern an reifen und dominanten Bäumen (4 Larix decidua und 4 Picea abies) beobachtet, mit Ausnahme der höchsten Waldgrenzstandorte, wo Picea nicht vorkommt, und an N13w, wo nur drei Bäume pro Art ausgewählt wurden. Zusätzlich wurde jeder Standort mit mehreren Sensoren ausgestattet, um die lokalen Bedingungen zu überwachen. Dazu gehören in der Regel die Luft- und Bodentemperatur, die relative Luftfeuchtigkeit und die Verfügbarkeit von Bodenwasser. Mit Ausnahme der drei Standorte am oberen Nordhang wurden auch alle anderen Standorte mit Sensoren zur Messung des Saftflusses (2012) und des Bodenmatrixpotenzials (2014) ausgestattet. Gegenwärtig liegen uns mehr als 14 Jahre hochauflösende wachstumsphysiologische Daten für zwei Arten vor, die einen Höhengradienten von 1400 m abdecken.
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Abbildung 3: Überblick über die Messdaten des Lötschentaler Monitoring-Transektes der letzten 14 Jahre. Jede Farbe kennzeichnet eine Datenkategorie und jede Zeile bezieht sich auf einen einzelnen Standort. Lücken in den Zeilen weisen auf fehlende oder verworfene Daten aufgrund ungenügender Qualität hin. Jeder Standort kann weitere Sensoren enthalten. Diese Abbildung zeigt die dynamische Entwicklung der Umgebung. Das Projekt begann 2006 mit wenigen Dendrometern und Temperaturloggern. Im Laufe der Zeit kamen nach und nach weitere Logger und Datentypen hinzu. 2019 waren es insgesamt 63 einzelne Logger von 6 verschiedenen Typen, was die zunehmende Komplexität der Datenerfassung und -pflege zeigt. 2019 wurde die Anzahl der Standorte von 9 auf 6 reduziert, um die Arbeitsbelastung zu verringern.
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Abbildung 4: Beispiel für die Instrumentierung an einem Standort. Acht Bäume (farbige Kreise), vier für jede Art (L = Lärche, S = Fichte) werden überwacht. Ein Campbell CR1000 Datenlogger sammelt Sapflow- (6) und Dendrometer-Daten (8) in einer 15-Minuten-Auflösung von einem Cluster von vier Bäumen, die Daten werden über ein CDC-Modem an den Server an der WSL gesendet. Jeder Campbell-Logger ist seinerseits an eine Solarstromquelle angeschlossen. Ein weiterer Logger sammelt Umweltinformationen des Standorts mit der gleichen Auflösung. Dazu gehören Tbit-Temperaturlogger (3), Lysimeter für Bodenfeuchte (2*5), MPS für das Bodenmatrixpotential (4) und Hobo T-RH Logger (1) für Standorttemperatur und relative Feuchte. Farbige Etiketten zeigen den Baum (eingekreiste Etiketten) oder die Sensoren an (grün Dendrometer, blau Saftfluss, orange Umweltsensoren), während die roten Daten eine Änderung der Zeitreihe entweder durch einen Wechsel des Baumes oder des Sensors anzeigen.

Beiträge und Ergebnisse

Das Projekt hat eine modulare und offene Struktur. Dies bedeutet, dass es einen vorgegebenen allgemeinen Rahmen gibt (Standortwahl und Basismessungen wie Bodentemperatur), in den zusätzlich andere spezifische Forschungsfragen eingefügt werden können. Das Projekt begann 2007 und läuft derzeit noch. Seit seiner Einrichtung hat die Versuchsanordnung des Transekts zu zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen beigetragen (siehe Publikationsliste Lötschental), die Forschungsfragen zu verschiedenen Aspekten des Baumwachstumsprozesses aufgreifen.

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